Ref. :  000018355
Date :  2005-05-23
langue :  Allemand
Page d'accueil / Ensemble du site
fr / es / de / po / en

Zirkulationsterritorien

Zirkulationsterritorien

Source :  Alain Tarrius


Jeder Raum ist einer Zirkulation unterworfen, aber nicht jeder Raum ist territorial. Der Begriff des „Zirkulationsterritoriums“ stellt eine gewisse Sozialisierung jener Räume fest, die der Mobilität dienen. Die einzelnen Personen erkennen sich im Inneren der Räume wieder, die sie im Laufe einer gemeinsamen Geschichte der Mobilität, dem Ursprung des Sozialen, erstellen und durchqueren. Sie sind den „legitimierten Autochthonen“ fremd, ihre Fremdheit verleiht ihnen eine Position der Nähe: Sie kennen die Einwohner der Stadtgrenzen besser und verhandeln, erheben oder setzen hier ihre Ankunft je nach den Modalitäten und Vorkenntnissen durch, ohne jedoch heute auf den Ort ihrer Herkunft und auf den Zwischenraum, in dem sie oft sehr lange verweilen (womöglich ist das ein wesentliches Kennzeichen der „Mondialisierung“) zu verzichten. Diese Räume bieten die symbolischen und faktischen Ressourcen des Territoriums.

Dieser Begriff leitet nun einen doppelten Bruch in den allgemeinen Auffassungen der Begriffe Territorium und Zirkulation ein. Erstens legt er nahe, dass die Ordnung der sesshaften Bevölkerung für den Begriff des Territoriums nicht wesentlich ist; die so erstellten Normen lösen die Gegensätze zwischen den identitären Rangordnungen der Sesshaften, der Referenzen auf den „Ort“: d.h. die äußerst gebräuchliche Unterscheidung zwischen autochthon und fremd oder manchmal ethnisch auf; insgesamt alle Ethnien und alle Autochthonen aller Augenblicke und Orte, die zusammen sehen und leben müssen.

Die Ausweitung dieser Territorien, die untrennbar von den ökonomischen Praktiken sind, die sie konstituieren, generiert ununterbrochen neue stillschweigende Einverständnnisse mit neuen anderen, die an den Kreislauf des Kollektivs angeschlossen werden, um besser befördert zu werden, Märkte, Arbeitsplätze, immer enferntere Orte, und um einen Exotismus zu erreichen, der an die Ethnizität gekoppelt wird, indem er immer mehr verbannt wird. Die soziale Übergangsethik erzeugt Einverständnisse, und zwar für einige über den Weg der gegebenen Sprache oder den jeweiligen, oft originellen und mit den „anderen“ immer anderen Gebrauch, der sich aber durch ihre Mobilität und Nähe auszeichnet. Sie ist von Grund auf zivilisatorisch. Die räumliche Mobilität bringt also mehr als eine Verwendungsweise von Räumen zum Ausdruck, nämlich die Bewegung von einem Handlungsort zu einem anderen, aber auch die der sozialen Hierarchien, der Anerkennungen, die Kraft und Macht verleihen, die der sesshaften Bevölkerung nicht weniger, aber andersartige radikale Gewalttätigkeiten und Ausbeutungen verschleiern, weil das Außen des Fremden mit dem Außen des Ortes für denjenigen inhergeht, der in der Immobilität seiner indigenen Gewissheiten verharrt.

Die Bewegung ist der Sesshaftigkeit nicht untergeordnet, die Verwünschung des Herumirrens oder gar die Unstetigkeit der Migrationsströme bringen die ballistischen Gesetze ans Tageslicht. Die Nähe zwischen mobilen Kollektiven, die unterschiedlichen Status und Herkunft innehaben, äußert sich insofern in Begriffen der sozialen Temporalität, als die freilich zahlreichen Ausdrücke zwischen Zuständen der Zirkulation und den Präsenzen an den Etappenorten sich wie Momente äußern: für das örtliche Untertauchen günstige soziale Rhythmen, die die Nachbarflächen abgrenzen, Phasen in der Lebensgeschichte, die die bereits geschaffenen Freundeskreise wiedererrichten, Plätze und Rollen in der Zeit zwischen den Generationen, die auch einer der Produktion des Konformen und des Abweichenden, des Fremden und des Lokalisierten gleichkommt.

Die Zirkulationsterritorien geben sich wie angenehme Stützen. Sie sind privilegierte Orte für Basteleien und Ein- und Ausgangsinteraktionen für jeden, der sie durchläuft; sie sind Räume, die es gewähren, ob es der großen Tradition der „sozialen Aktion“ in der Verfassung passt oder nicht – wer misst den Ort, die Distanz, wo befindet sich der andere bezüglich dieses Zentrums der „Staatsbürgerschaft" - gleichzeitig hier und dort zu sein, zur selben Zeit ganz nah und ganz weit entfernt, je nach den Möglichkeiten und Arten des Austauschs, der aus der dichten Reihe der Berühungspunkte hervorgeht. Das dem Zirkulationsterritorium verleiht keinerlei Indigenität, auch wenn es Kompetenz gibt: Es ist Zeit-raum des Übergangs, der Mondialisierung. Diese Beobachtungen implizieren auch die Berücksichtigung der Rolle der Zirkulationsterritorien als Stützen für vielfältige Formen von Transaktionen/Artikulationen – zwischen Mobilitäten und Sesshaftigkeiten, Informalität und Offizialität, Einsamkeit und Kommunitarisierung, Fremde und Autochthone, Eliten und Auszubildende. Nichts verbleibt im Zirkulationsterritorium; die deutlichsten Erfolge der mobilen Bevölkerung in der sozialen Konstruktion von lokalen Rollen, welche die allgemeinen historischen Umgänglichkeiten transformieren, charakterisiert jene, die sich darauf verstehen, unmittelbare, flüchtige oder ziemlich dauerhafte, demonstrative oder kaum sichtbare Momente der Hin- und Rückreise herzustellen, und zwar zwischen einer Gesamtheit an Normen, verschiedener Zugehörigkeiten, die auf jene Topoi rekurrieren, die wir als Zirkulationsterritorien bezeichnet haben. Insgesamt erlaubt es ein derartiges Konzept, zu beschreiben und auszudrücken, wie heutzutage die Gleichzeitigkeit des Hier- und Dortseins möglich ist.

Das Überlagerung erscheint wie ein üblicher Modus der Kopräsenz im urbanen Raum, sobald sich die berufsbedingten, ethnischen oder nicht ethnischen, reichen oder armen Konturen der mobilen Bevölkerung abzeichnen. Die weitreichenden Zirkulationsterritorien mit ihren vielfältigen Zentralitäten gehen, da sie zahlreiche Netzwerke unterstützen, selten mit den lokalen städtischen Zentren einher, den ersten, in „Ortsgeschichten“ konstituierten Verdinglichungen der alten Festlegung an die Immobilität durch unsere Gesellschaft und ihre Institutionen.

Wir beschreiben weniger die Existenz von Dualismen als die Inkompatibilität der Aneignungsweisen und der sozialen Konstruktion der Städte zwischen dem technostrukturellen Geflecht einerseits, also dem Staat, der ohne Gedächtnis funktioniert und der Bevölkerung, die aus von der Ratio des Staates sehr entfernten Orten bis zum Herz seiner Dispositive selbst kommen kann und die die Aktivierung einer sozialen Bindung über die Intelligenz der Mobilitäten in Kollektiven bildet. Diese Formen nehmen an den allgemeinen, aktuellen, sozialen und ökonomischen Veränderungen teil. Die Mondialisierung des Austauschs passt zu einer Mondialisierung der Zirkulationsterritorien und der Netzwerke, die sie unterstützen, auch wenn in dieser Entwicklung die Kennzeichen der staatlichen Offizialität im Rahmen der Nation jenen antagonistisch gegenüberstehen, die aus der Initiative dieser Kollektive hervorgegangen sind.

Denn die historische Finalität dieser Zirkulationsterritorien, die uns insbesondere betrifft, ist folgende: Zunächst denjenigen, die es wahrnehmen wollen, lernen, dass das Territorium nicht nur Identität – unser Selbst – produziert, sondern auch Andersheit, Fremdes, ihre Differenz, indem es die Welt im Ort situiert: und dann Modi der Transversalität, des Dazwischen, der Peripherien, der Ränder, der Rassenmischungen, die unwiderruflich die Topoi der Zentralität ins Wanken bringen, also natürlich jene der Stadt und jene der Identität, indem man sie vom Ort zur Welt zieht.



Übersetzt von Jörg Mirtl


Notez ce document
 
 
 
Moyenne des 126 opinions 
Note 2.40 / 4 MoyenMoyenMoyenMoyen
RECHERCHE
Mots-clés   go
dans 
Traduire cette page Traduire par Google Translate
Partager

Share on Facebook
FACEBOOK
Partager sur Twitter
TWITTER
Share on Google+Google + Share on LinkedInLinkedIn
Partager sur MessengerMessenger Partager sur BloggerBlogger
Autres rubriques
où trouver cet article :