Die Nahrungsmittelpreise sind weltweit innerhalb kurzer Zeit sehr stark angestiegen. Woher rührt die Preisexplosion?
Die weltweite Nachfrage übersteigt das weltweite Angebot. Das Angebotsproblem hat verschiedene Ursachen:
Erstens ist die Produktivität in Afrika und einigen anderen Regionen nach wie vor niedrig. Zweitens, Klimaschocks in Australien und Europa und anderen Getreide produzierenden Gegenden. Drittens, das Umlenken von Nahrungsmitteln in die Produktion von Biokraftstoffen.
Viertens, sehr niedrige Vorräte. In dem Moment, als die Nachfrage auf dem Weltmarkt anstieg, gab es keine großen Getreide-Reserven, wir waren schon am Limit, und im Ergebnis sind die Preise in die Höhe geschossen.
Fünftens, Handelsbarrieren, die sehr rasch von den Exportländern aufgebaut wurden, um die inländischen Preise niedrig zu halten, führten zu weiteren Preissteigerungen in den importierenden Ländern.
Aber im Kern ist die Herausforderung, dass die Nachfrage für Nahrungsmittel stark gestiegen ist und das Angebot, die Produktion nicht.
Der Generalsekretär der UNO hat gesagt, dass steigende Nahrungsmittelpreise das Millennium-Entwicklungsziel, die Armut bis 2015 zu halbieren, in Frage stellen. Teilen Sie diese Auffassung?
Ja, natürlich. Das wichtigste ist, die Nahrungsmittelproduktion in den ärmeren Regionen zu steigern. Viele dieser Regionen, hauptsächlich in Afrika, produzieren nur die Hälfte oder ein Drittel dessen, was möglich wäre.
Das Problem ist, dass die Bauern so arm sind, dass sie sich kein besseres Saatgut, keinen Dünger und keine Bewässerung leisten können.
Ich denke daher, dass wir, um die Krise zu überwinden, helfen müssen, die Angebotsseite der Landwirtschaft in armen Ländern zu finanzieren, dass könnte die Produktion steigern, zu Preissenkungen führen und so ein Ausweg aus der Notsituation sein.
Die europäische Landwirtschaft war schon oft Gegenstand von Verhandlungen in Sachen Welthandel. Was kann Europa ihrer Meinung nach dazu beitragen, die Nahrungsmittelkrise zu lösen?
Das wichtigste, was Europa tun kann, ist schnell Finanzmittel zur Verfügung zu stellen, damit ärmere Länder ihre eigene Nahrungsmittelproduktion steigern können. Dies ist für mich der wichtigste, sehr praktische Schritt.
Als Malawi 2005 ein Programm aufgelegt hat, dass es jedem Kleinbauer erlaubte Dünger und ertragreicheres Saatgut einzusetzen, konnte das Land innerhalb kurzer Zeit seine Nahrungsmittelproduktion verdoppeln, von einer Saison zur nächsten und es hat dieses erhöhte Produktionsniveau seitdem aufrecht erhalten können.
Können nur Regierungen, große Firmen und Organisationen etwas gegen die Nahrungsmittelkrise tun oder können die Menschen auch individuell etwas zur Lösung beitragen?
Ich denke, dass kurzfristig gesehen dies eine Angelegenheit staatlicher Programme ist, die zuverlässig die Nahrungsmittelproduktion in den ärmeren Ländern steigern.
Längerfristig spielen unsere Lebens- und Ernährungsgewohnheiten auch eine Rolle. Jeder weiß, dass man 8 Kilo Getreide benötigt, um ein Kilo Rind- oder Lammfleisch zu produzieren.
Unsere sehr stark auf Fleisch basierende Ernährung belastet das Nahrungsmittelsystem entsprechend. Ich denke, dass die Bilanz für den Planeten insgesamt besser wäre, wenn wir uns auf eine gesundere Ernährung mit weniger dunklem Fleisch, mehr Gemüse und Fisch umstellen würden.
In der akuten Krise können wir eine Rolle spielen, indem wir unserer Regierungen sagen, dass wir nicht wollen, dass die Politik unserer Länder die Bedürfnisse einer Milliarden armer und hungernder Menschen vernachlässigt. Dass wir wollen, dass Europa und die USA und andere Staaten den Bauern in den armen Ländern helfen, das Nahrungsmittelangebot zu steigern, damit die Krise nicht anhält.
Weitere Informationen :
Presse-Info: Food and health crisis in developing countries: Jeffrey Sachs urges pragmatic measures
Entwicklungsausschuss
Presse-Info: MEPs debate rising food prices and biofuels with World Food Programme Chief