Ref. :  000001653
Date :  2001-08-06
langue :  Allemand
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Das Globale als das Unmittelbarwerden des Absoluten oder die Gegenwart als philosophisches Problem

Die Gegenwart?

Source :  Endre Kiss


1989 publizierte Francis Fukuyama seine auf einen Schlag weltberühmt gewordene Studie über das Ende der Geschichte. Zu dieser Zeit existierte die Sowjetunion als Megastaat noch, so dass der Theoretiker in diesem Fall nicht wie sonst erst post festum auf den Plan trat.

Fukuyama machte hier den ersten Versuch, jenen historischen Prozess in einen universalgeschichtlichen Rahmen zu stellen, den man seit 1985 als "Glasnost" und dann als "Perestrojka" kennen gelernt hatte. Der Begriff "Universalgeschichte" bedarf der Erklärung. Wir schlagen nicht nur eine klare begriffliche Unterscheidung zwischen Geschichte und Geschichtsphilosophie, sondern auch zwischen "Geschichtsphilosophie" im traditionellen Sinne und "Universalgeschichte" ("universal history" im englischsprachigen philosophischen Raum) vor. Die Differenz zwischen diesen beiden Arten der Philosophie der Geschichte ist weitreichend. Denn eine richtige Philosophie der Geschichte ist berufen, den Gesamtprozess der menschlichen Entwicklung philosophisch reflektiert zu konstituieren und darzustellen. Dagegen besteht die ursprüngliche Aufgabe der Universalgeschichte nicht in einer ganzheitlichen und theoretischen Darstellung des historischen Gesamtprozesses, sie muss vielmehr essentialistisch sein und das Wesen des Gesamtprozesses in der Form einer einzigen Konzeption entwerfen, die auch schon direkte und explizite kausale Optionen für die Erklärung dieses Gesamtprozesses enthält. Für diese Differenz liefert gerade Hegel ein anschauliches Beispiel. In seinen Vorlesungen über die Philosophie der Geschichte tritt er als Verfasser einer im klassischen Sinne verstandenen Geschichtsphilosophie auf, während seine Konzeption des Kampfes um die Anerkennung zwischen Herr und Knecht in der Phänomenologie des Geistes eine der klassischen und im europäischen Kontext seltenen Konzeptionen der neuzeitlichen Universalgeschichte ist. Er ist also ein Beispiel dafür, dass die beiden Arten der Geschichtsphilosophie auch bei ein und demselben Autor artikuliert werden können, und zwar dergestalt, dass diese beiden Gattungen der geschichtstheoretischen Reflexion auch bei diesem einzelnen Autor ihre wichtigsten Bestimmungen deutlich beibehalten.

Francis Fukuyama stellte also die Ereignisse des Jahres 1989 nicht in einen geschichtsphilosophischen, sondern vielmehr in einen universalgeschichtlichen Rahmen, nach den vorhin angedeuteten Bestimmungen und Merkmalen dieser beiden philosophischen Anschauungsweisen der Geschichte. Dass sein Verfahren unter den Politologen, Politikwissenschaftlern oder politischen Analytikern nicht gerade weit verbreitet war, lässt sich leicht einsehen. Dass jedoch Fukuyamas universalgeschichtliche Interpretation der Zeitproblematik weitgehend legitim war, beweist unser ganzer Gedankengang.

Die nächste Frage, die an dieser Stelle mit Notwendigkeit gestellt werden muss, ist jene, ob die globale Bedeutung von Gorbatschows Perestrojka und der aus ihr hervorgehende Gesamtprozess tatsächlich von universalgeschichtlicher Relevanz waren oder nicht. Weil auf diese Frage zahlreiche Antworten möglich sind, werden wir zwar die endgültige Antwort späteren Generationen überlassen, doch heben wir vorläufig hervor, dass diesem historischen Prozess allein in seiner Qualität als Abschluss der Zweiteilung der Welt eine universalgeschichtliche Relevanz zukommen muss. Wir wollen nicht behaupten, dass nach 1945 einzig die Tatsache der Zweiteilung ein Faktum von universalgeschichtlicher Relevanz gewesen sei. Die Zweiteilung war jedoch die bestimmendste universalgeschichtliche Tatsache, und zwar vor allem, weil sie ursprünglich (die Erinnerung an diese Grundbefindlichkeit ging in den vielen Phasen der diversen Entspannungswellen mit Notwendigkeit zurück) eine Zweiteilung war, die einen "latenten" und "allgegenwärtigen" (eben den "kalten") Krieg konstituierte; dieser "kalte" Krieg wiederum potenzierte die Konfrontation der beiden Weltteile ins Universale. Zur "extremisierten" Konfrontation der politischen Systeme gesellte sich diejenige der Ideologie und der Weltanschauung ("man schaute in der zweigeteilten Welt in der Tat zwei verschiedene Welten", wobei die eventuellen Grenzüberschreitungen mit Notwendigkeit als das höchste Verbrechen angesehen wurden (1) und Kontakte zwischen diesen beiden so unterschiedlichen Welten schlicht verboten waren. Feindbilder waren alltägliche Realität, sogar noch die eigene Identität wurde ausschliesslich in diesem konkreten und allumfassenden Feind-Freund-Verhältnis definiert. Man sollte ferner auch noch an die später immer mehr in Vergessenheit geratene Tatsache erinnern, dass die anderen, in dieser Zweiteilung nicht vertretenen Staaten und Regionen der Erde sich erst nach der klassischen Zeit der Zweiteilung sowohl politisch wie auch wirtschaftlich richtig organisieren konnten (2).

Schon jetzt können wir eine unserer Thesen vorausschicken. Sie lautet: So wie die Zweiteilung selber die Grundstruktur der Globalisierung jener Zeit darstellte, so ist auch das durch Gorbatschow bewirkte (im Prinzip aber selbstverständlich nicht einzig mögliche) Ende der Zweiteilung eine konkrete Form der Globalisierung, und zwar diejenige der Globalisierung unserer Zeit. In diesem Sinne ist ein "Ende der Zweiteilung" zumindest umgangssprachlich und auch ohne tiefergehende theoretische Analyse auch ein "Ende der Geschichte"(3).

Bevor wir aber auf die geschichtstheoretische Analyse eingehen werden, ersteht jene - an geschichtstheoretischen Dimensionen ebenfalls reiche - Frage, die sich auf die Vorhersehbarkeit der post-sozialistischen ‚Transition’ bezieht. Die extreme Dimension der Unvorhersehbarkeit des später tatsächlich Einsetzenden löste mit Recht eine erhebliche Krise sowohl der Identität als auch der Legitimität unter den hier fachlich berührten Wissenschaften aus(4).

Dieses bis heute im intellektuellen Raum stehende Faktum der Unvorhersehbarkeit unterstreicht und legitimiert nochmals unser Interesse an der auf Hegel aufbauenden Interpretation von Francis Fukuyama. Nicht nur aus dem Grunde, weil Fukuyamas erster nennenswerter theoretischer Ansatz noch aus einer Zeit stammt, als die Sowjetunion noch bestand und Gorbatschow der amtierende Generalsekretär der KP war, sondern auch aus dem Grunde, dass sein Deutungsversuch gerade vor dem Horizont des allgemeinen "Unvorhergesehenseins" als eine von Anfang an theoretisch fundierte Ausnahme ein gesteigertes Interesse verdient. Denn worin bestand eigentlich jene entscheidende Tatsache, dass das später einsetzende Ereignis nicht schon im Voraus signalisiert worden war? Wir können einen Konflikt zwischen den "universalhistorischen" und den "realpolitischen" Ansätzen feststellen, der ihr zugrunde liegt.. Was "universalhistorisch" als sinnvoll, notwendig, ja sogar als überholt galt, erschien lange Zeit "realpolitisch" unmöglich. Die Unmöglichkeit der realpolitischen Verwirklichung gewisser innovativer Ideen führte zum Faktum der Unvorhersehbarkeit. Fukuyamas universalhistorische Annäherungsweise verdient gerade in diesem alles bestimmenden Konflikt einen spezifischen Respekt.

Die universalgeschichtlich in unserem Zusammenhang wohl wichtigste Tatsache ist selbst eine komplexe und synthetische. Sie ist mit dem Ausgang jenes historischen Moratoriums identisch, über welches das System des realen Sozialismus auf legitime Weise verfügte. Den Begriff des historischen oder des geschichtsphilosophischen Moratoriums für ein ganzes System, eine konkrete soziale Institution hat der Verfasser dieser Zeilen speziell für die theoretische Beschreibung der post-sozialistischen 'Transition' gebildet, nachdem er den heuristischen Wert der Kategorie eines konkret existierenden, sozial wahrnehmbaren Moratoriums für die in die Gesellschaft hineinwachsenden Jugendlichen in Erik H. Eriksons sozialpsychologisch orientierter Identitätskonzeption erkannte und denselben Begriff des sozialen und soziologischen Moratoriums in die Universalgeschichte der Gegenwart aufgenommen hatte. Die Grundlage dieses Verfahrens bestand darin, dass (metaphorisch gesagt) die Geschichte in der Form der einzelnen Objektivationen des öffentlichen Bewusstseins tatsächlich das gleiche Verhalten gegenüber einer neuen sozialen Einrichtung an den Tag legt, wie die Gesellschaft gegenüber den ihre verlängerte Pubertät auslebenden Jugendlichen(5).

Was also das historisch-geschichtsphilosophische Moratorium des real existierenden Sozialismus wirklich anbelangt, so sollte klar werden, dass dieses, obwohl bis dahin ein tatsächlich wirksamer Faktor, sich nach 1968, d.h. nach dem Einmarsch in die Tschechoslowakei, zumindest verflüchtigt hatte. Dieses Jahr, auch als entscheidende Wendemarke, hatte die Wurzeln auch jedes möglichen weiteren Moratoriums ausgemerzt, indem es alle Hoffnung zunichte machte, die auf die Möglichkeit einer tatsächlichen Weiterentwicklung des Post-Stalinismus in einen Reformkommunismus gesetzt worden waren. Man mag prinzipiell unterschiedlicher Meinung über die historische Möglichkeit des Reformkommunismus sein, doch kann kein Zweifel darüber bestehen, dass eine Transformation in diese Richtung der einzige denkbare Schritt gewesen wäre, um das historisch-geschichtsphilosophische Moratorium des realen Sozialismus überhaupt zu verlängern(6). Der Einmarsch hat mit der Brutalität der Waffen gezeigt, dass die neue, aus der "eigenen" Kritik des Stalinismus (und früher noch: des Kapitalismus) geschöpfte "negative" Legitimation der poststalinistischen Einrichtung nicht in eine "positive" Kritik und eine eigene selbständige Vision der Gesellschaft der Zukunft übergehen konnte. Der Einmarsch, ob selbst nur als Symptom, oder als entscheidende, über einen Eigenwert verfügende Tatsache, hat aufgewiesen, dass so etwas wie ein reformkommunistischer Staat als umfassende Einrichtung nicht existiert. Dieses Verschwinden des für die Systeme des real existierenden Sozialismus existierenden Moratoriums schlug sich, wie kaum anders zu denken, auch in der Politik und der Mentalität der herrschenden Eliten nieder. Diese Tatsache führt gleich in zwei wesentlichen Richtungen weiter. Sie signalisiert auf der einen Seite, dass der im Zentrum von Fukuyamas Interpretation stehende "Kampf der Werte" tatsächlich weit bis in die höchsten Kreise der herrschenden Elite vorgedrungen war. Auf der anderen Seite führt dieses Bewusstsein, am Ende eines welthistorisch gegebenen Moratoriums zu stehen, zur Entstehung der "Dezision", d.h. zur Genese des tatsächlich dezisiven Charakters der ganzen "Perestrojka"(7). Diese "Dezisivität" ist für unseren aktuellen Versuch, für die Inanspruchnahme des Hegelschen Gedankengutes bei der Interpretation der Gegenwart als philosophischem Problem, nur von untergeordneter Bedeutung, die sinnvollerweise vor allem als ein Moment des Unmittelbarwerdens des Absoluten, als logisches und notwendiges Attribut der welthistorischen Persönlichkeit in diesem Zusammenhang erscheinen kann.

Francis Fukuyamas Interpretation gewinnt ihren Stellenwert aus der Singularität dieser welthistorischen Situation. Denn die Einsicht in den Ausgang des historischen Moratoriums stand in einem perfekten Gegensatz zu den definitiven politisch-strukturellen Eigenschaften des politischen Systems des realen Sozialismus selber. Es ist nicht immer leicht, hinter dieser trivialen Feststellung das in geschichtstheoretischer Sicht Spezifische zu erblicken. Die Singularität einer Einsicht in die Notwendigkeit der Veränderung und der praktisch-instrumentellen Unmöglichkeit, sogar noch Unvorstellbarkeit derselben Veränderung ist eine Tatsache, die in ihrer Aufforderung zur unkonventionellen Dezisivität alles Interesse einer theoretischen Geschichtsbetrachtung verdient. Weil aber diese singuläre Situation die bestimmende Tatsache der Universalgeschichte der letzten Jahrhunderthälfte ist, so muss ihre ebenfalls universalgeschichtliche Reflexion evidenterweise legitim sein.

Nach der Andeutung der Singularität und des universalhistorischen Charakters der Gegenwart wäre nunmehr die Frage nach einem "Ende der Geschichte" zu stellen. Dieses Problem existiert auch ohne direkten Bezug auf die Gegenwart als Teil der Universalgeschichte. Merkwürdigerweise löste die Artikulation dieser Idee vor Fukuyamas mehrfacher Beschwörung Hegels kaum eine der aktuellen Reaktion vergleichbare Wirkung aus. Um nur einige Beispiele fern der unmittelbaren Vorgeschichte der Fukuyama-Debatte von Kojève bis Leo Strauss zu nennen: Albert Camus' grosszügige und tatsächlich universalgeschichtliche Vision vom "Ende der Geschichte" durch die Einführung des Napoleonischen Gesetzbuches (was ja haargenau an Fukuyamas Theorie erinnert) blieb so gut wie unbemerkt(8). Nicht viel anders erging es Arnold Gehlens Thematisierung eines "Endes der Geschichte"(9), deren Aussage ebenfalls derjenigen von Fukuyama nicht mehr fern stand. Desgleichen reagierte die philosophische Öffentlichkeit ohne Anzeichen von Entrüstung auf das Erscheinen eines fachphilosophischen Aufsatzes, der ausschliesslich Konzeptionen referierte, die sich mit dem theoretisch aufgefassten Problem des "Endes der Geschichte" auseinandergesetzt haben(10). Merkwürdig ist nach all dem nur, dass dieselbe Problematik gerade in Fukuyamas Thematisierung zu einem Stein des Anstosses werden konnte, dass der pure Gedanke von einem "Ende der Geschichte" einen kleinen Skandal bedeuten konnte.

Wir brauchen in die Einzelheiten dieser abstrakten Fragestellung auch aus dem Grunde nicht weiter einzugehen, weil unserer Auffassung nach die Thematisierung von einem "Ende der Geschichte" weniger von der Anwesenheit von neuen, nie dagewesenen historischen Komponenten, als vielmehr von den entsprechenden Definitionen abhängt. Wir teilen die Auffassung mit mehreren grösseren philosophischen Schulen, dass "Geschichte" stets auch von den einzelnen historischen Subjekten aus definiert werden soll. Die Geschichte eines Staates, einer Institution oder etwa einer Wissenschaft ist somit auch von der Subjektseite her bestimmt, so dass ein "Ende der Geschichte" in allen jenen Fällen ohne weitere Probleme zu konstatieren wäre, wenn etwa das zur Grundlage der Definition der Geschichte dienende Subjekt unterginge. Für einen Sportclub ist es sicherlich und ohne jeglichen Zweifel ein "Ende der Geschichte", wenn diese Organisation sich auflöst. Es ist aber auch eine andere Redeweise vom Ende der Geschichte möglich. Es geht um Fälle, da so breite und umfassende historische Perioden definitiv zu Ende gehen, dass bei der Reflexion dieser Prozesse schon die Umgangssprache diese Variante wählt. Wer könnte etwas dagegen anwenden, wenn man auf das achtzehnte Jahrhundert rückblickend angesichts des "Ancien Régime" von einem "Ende der Geschichte" sprechen würde(11).

Zusammenfassend liesse sich behaupten, dass die Möglichkeit der sinnvollen Rede vom "Ende der Geschichte" nicht so sehr von der Existenz abstrakt-allgemeiner Bedingungen, sondern vielmehr von jenen Kriterien abhängt, die der Denker für seine Konzeption vom "Ende der Geschichte" im vorhinein benennt. Die Adäquatheit einer Auffassung vom "Ende der Geschichte" lässt sich ist also durch die Frage nach der Übereinstimmung der jeweiligen historischen Situation mit den selbstgegebenen Bedingungen und Kriterien der Theoriebildung feststellen. Es gilt, die Frage zu stellen (und zu lösen), welche Francis Fukuyamas selbstgegebene Kriterien eigentlich sind und ob diese Kriterien sich angesichts der historischen Gesamtsituation bewahrheitet haben.

Da diese Erneuerung der Idee vom "Ende der Geschichte" direkt mit umfassenden weltgeschichtlichen Veränderungen verbunden war, so entstand der Schein durchaus einfach und leicht, dass das Eintreten dieser konkreten weltgeschichtlichen Veränderung das "Ende der Geschichte" selbst gewesen sei. Man las also Fukuyamas Interpretation der aktuellen Ereignisse so, als ob deren Inhalt das Ende der Zweiteilung der Welt gewesen sei. Diesem Eindruck entgegen war es nicht Fukuyamas These, dass die zweigeteilte Welt ihr Ende erfahre. Der Gehalt der These vom "Ende der Geschichte" war also nicht, dass die Zweiteilung zu Ende gehe, obwohl der wirkliche Inhalt dieser These auch mit einem Ende der Zweiteilung gleichbedeutend war. Ähnlich verhielt es sich mit der ebenfalls überspitzten Interpretation, dass die These vom "Ende der Geschichte" eigentlich ein Ende der Ideologien in der Form des "Sieges des Liberalismus" aussagen wolle. Es war ebenfalls nicht der direkte Inhalt dieser Theorie, obzwar auch diese Version durch isomorphe Strukturierung der Aussagen in Fukuyamas These enthalten war. Auf die gleiche Weise wurde Fukuyamas eigentliche Aussage oft so verstanden, als ob sie ein Ende der Rivalität und der Konkurrenz der beiden grossen Ideologien meine (was sinnvollerweise auch in jene Richtung noch ausgeweitet werden dürfte, dass damit auch die ideologische Konkurrenz innerhalb der jeweiligen Gesellschaften im Osten und im Westen zu Ende gehe). Aber auch auf diese Interpretationsversion bezieht sich das vorhin Gesagte: Es war zwar nicht der primäre Gehalt der Interpretation Fukuyamas, durch diverse Isomorphien lässt sich jedoch auch diese These noch mit ihr in Verbindung bringen.

Es lässt sich bereits verallgemeinernd feststellen, dass die unmittelbare Aufnahme von Fukuyamas Thesen weitgehend von jeweils einer dieser drei Möglichkeiten beherrscht worden ist, was notwendigerweise bedeutet, dass die Rezeption den wahren Gehalt seiner Theorie nicht wiedergab, während diese - potenziert durch die in eine Richtung weisenden und einander verstärkenden Isomorphien - im Licht der vermeintlichen Schärfe der letzten Fragen der aktuellen Weltgeschichte (Ende der Zweiteilung, Ende der Rivalität der Ideologien, bzw. Ende der Ideologien überhaupt) wie eine merkwürdige und apodiktische letzte Interpretation der Gegenwart erschien. Dies wäre eine merkwürdige Konzeption und eine ebenso merkwürdige Interpretation der Ereignisse des Jahres 1989! Wir brauchen aber diesen Spuren nicht unbedingt weiter zu folgen, weil - trotz den später noch anzusprechenden Isomorphierelationen - nicht sie den eigentlichen Inhalt von Fukuyamas Theorie ausmachen(12). Es versteht sich demnach auch, dass diejenigen kritischen Positionen, die sich aufgrund der genannten drei Punkte gegen Fukuyama richten, für uns schon deshalb nicht von primärem Interesse sein können, weil sie nicht die direkten Aussagen von Fukuyama berühren. So anziehend beispielsweise die Fragestellung wäre, ob etwa das Ende der Zweiteilung der Welt (das Ende der Rivalität der Ideologien, das Ende der Ideologien überhaupt) bereits das "Ende der Geschichte" bedeutete, so ergäbe eine derartige Auseinandersetzung doch noch keine unmittelbare Diskussion der Thesen Fukuyamas.

Näher kommt man den ursprünglichen Intentionen von Francis Fukuyama, wenn man neben seinem energischen Rückgriff auf Hegel auch seine kohärent ausgearbeiteten Kant-Hinweise zu systematisieren sucht. Damit dient er der den Zeitproblemen sich öffnenden Philosophiegeschichte, die etwa 1995 zum zweihundertjährigen Jubiläum der Entstehung der Schrift "Zum ewigen Frieden" die (auch im Politischen adäquat in Angriff zu nehmende) Universalgeschichte Kants in den Mittelpunkt zu stellen wusste. Vergleicht man die historischen Gesamtsituationen nach 1789 und 1989 so sind die Parallelen augenfällig. Nur andeutungsweise sei auf Fukuyamas treffenden Begriff der "transhistorischen" Sicht Kants (und jeder philosophischen Universalgeschichte) hingewiesen, mit dem er die spezifische Geschichtlichkeit der Universalgeschichte zwischen derjenigen der klassischen Geschichtsphilosophien (von Herder bis zu Hegels Vorlesungen über die Philosophie der Geschichte) und einer a-historischen politischen Philosophie situiert. Es ist ebenfalls ein wichtiges Moment, dass Fukuyama in Kants universalgeschichtlicher Konzeption eine ewige und unaufhebbare Herausforderung aller Denker späterer Zeiten erblickt(13). Kaum weniger relevant ist in unserem Zusammenhang, dass Fukuyama auch bei Kant ein mögliches und theoretisch einwandfrei annehmbares "Ende der Geschichte" signalisiert: "Kant suggested that history would have an end point, that is to say, a final purpose that was implied in man's current potentialities and which made the whole of history intelligible. This end point was the realization of humam freedom...The achievement of...a...civic constitution and its universalization throughout the world would then be the criterion by which one could understand progress in history"(14). Wie dies aus unserem ganzen Gedankengang hervorgehen wird, betrachten wir die hier von Fukuyama problematisierten Bedingungen und Kriterien (Verfassung, Menschenrechte, Gewaltenteilung plus die Universalisierung, bzw. Internationalisierung derselben) als ausreichend, um auf ihrer Grundlage über ein "Ende der Geschichte" zu sprechen, und zwar strikt in dem Sinne, den wir in der Einleitung dieser Arbeit generell als Möglichkeit einer Rede über das Ende der Geschichte unsere Einstellung darlegten. Im Weiteren ist es uns nicht möglich, auf all die Momente im Detail hinzuweisen, in sich denen Kants Analyse der universalgeschichtlich relevanten Situation seiner Gegenwart und Fukuyamas Analyse der universalgeschichtlich relevanten Situation seiner Gegenwart zusammenfallen. Zum Teil enthebt uns dieser Aufgabe aber auch die Reihe von wissenschaftlichen Veranstaltungen, die Kants universalgeschichtliche Konzeptionen vor allem im Kontext von Zum ewigen Frieden im vergangenen, aber auch in diesem Jahr bereits auf die globalen und internationalen Probleme unserer Zeit vielschichtig angewandt haben(15).

Es ist für das Verständnis des 'Fukuyama-1989-Phänomens' also von erheblicher Bedeutung, dass Fukuyama - wie wir soeben sehen konnten - sowohl seinen interpretatorischen Ansatz direkt "universalgeschichtlich" versteht, als auch die mögliche Erneuerung der universalgeschichtlichen Fragestellung als explizite Forderung bei der Interpretation der Gegenwart thematisiert, womit wir bei der grundsätzlichen Fragestellung angelangt wären.

Betrachtet man Fukuyamas universalgeschichtliche Konzeption genauer, so erscheint sie in zwei Versionen. Die erste Version wird vor allem im ursprünglichen Aufsatz im Jahre 1989, die zweite Version in Francis Fukuyamas 1992 erschienenem Buch vertreten. Es ist entscheidend, dass beide Fassungen auf Hegel zurückgehen. Durch einen charakteristischen Unterschied (auf dessen Interpretation wir erst später eingehen werden) greift Fukuyama in der ersten Fassung seiner Konzeption auf die (Hegelsche) Problematik der Herr-Knecht-Beziehung zurück, während er in der zweiten Fassung seiner Konzeption auf das Jahr 1807, bzw. auf den Code civil Napoleons als das Schlüsselereignis des Konzeptes vom "Ende der Geschichte" hinweist. Im folgenden befassen wir uns mehr mit der ersten Fassung, weil wir sie für theoretisch wichtiger halten, obwohl es aus rein theoretischer Sicht von grossem Interesse ist, dass dadurch auch in einer konkreten und sich auf die Gegenwart beziehende Konzeption eines Politologen unserer Tage der Hegel der Phänomenologie und der systematisierende Hegel in eine struktur- und diskursbildende Opposition gestellt werden (in der zweiten Version erscheint er als ein Theoretiker, der 1807 oder 1830 aufgrund von klar ausgewählten Kriterien als den Zeitpunkt des "Endes der Geschichte" bezeichnet). Der theoretisch wichtigste, tatsächlich konstitutive Akt des theoretischen Ansatzes ist bei Fukuyama die Verknüpfung des Gorbatschowschen Verzichts auf (allseitige) sowjetische Machtansprüche mit Hegels Grundinterpretation der Weltgeschichte. Auf eine für Fukuyamas Methodik charakteristische Weise vereint ein Argument zwei unterschiedliche Argumente in sich. Das erste Argument besteht aus der Interpretation Gorbatschows als bewusstes Beenden einer welthistorischen Periode, während das zweite aus einer Interpretation dieses Endes als einer Realisierung und aktuellen Manifestation der Hegelschen Herr-Knecht-Analyse besteht. Diese beiden Argumente vereinen sich bei Fukuyama dergestalt, dass sie analytisch oft kaum exakt voneinander zu trennen sind.

Das Theorem Fukuyamas kann somit überhaupt nur rekonstruiert werden, wenn wir diese nicht explizit gemachten beiden Argumente nicht nur im einzelnen akzeptieren, sondern auch ihre nicht explizierte Vereinigung affirmieren. Wie also angedeutet: Auch im Falle einer Akzeptierung der beiden Ausgangsthesen bewirkt das ungenügende Ausmass der Explikation zahlreiche wissenschaftslogische Probleme.

Fragt man jedoch nach dem Wahrheitsgehalt der einzelnen Thesen, so kann man zu folgenden Ergebnissen kommen: Die Bestimmung der Geschichte als verallgemeinerte Herr-Knecht-Relation (als Klassenkampf oder ähnlichen Bestimmungen) ist ein weit verbreiteter Topos in der philosophischen Analyse der Geschichte, wie eben auch, dass das Ende dieses ewigen Kampfes schon das Ende der Geschichte sei. Abgesehen also von der grossen Anzahl der hier assoziierbaren geschichtsphilosophischen Konzeptionen kann diese These - auch in der Form der Verlebendigung des Hegelschen Ansatzes - zumindest in ihrem Typus kaum als neu angesehen werden. Dass das "Ende aller Kämpfe" den im vorhinein konkret angebenenen Kriterien gemäss auch ein "Ende der Geschichte" sein kann, lässt sich ohne grössere Schwierigkeiten verstehen; das soll jedoch nicht heissen, dass die mit diesem Komplex immanent verbundenen theoretischen Probleme aufgrund dieser Einsicht schon als gelöst betrachtet werden können(16).

Genauer müssen wir uns mit der zweiten Grundthese beschäftigen, die da lautet: Der reale Sozialismus, auch in seiner durch die Sowjetunion verkörperten Form ist eine soziale Einrichtung, für die die Vorherrschaft und die Anerkennung der Herr-Knecht-Relation charakteristisch war. Auf der Linie der mangelnden Explikation des Fukuyamaschen Gedankenganges ist es kaum verwunderlich, wenn auch diese These sich in zwei weitere Thesen auflösen lässt. Denn die erste Facette dieser These bezieht sich logischerweise auf die Tatsache der ideologischen, und zwar der marxistisch-leninistischen ideologischen Bestimmtheit dieser sozialen Einrichtung(17). Denkt man diese Hälfte der These von Francis Fukuyama in diese Richtung weiter, so liegt die Folgerung auf der Hand, dass die (ideologische) Hegemonie des sowjetischen Marxismus-Leninismus identisch mit der weiteren bestimmenden Existenz der Herr-Knecht-Relation ist. Durch einen strukturellen Perspektivenwechsel und in einer ausschliesslich analytisch-ideologiekritischen Sicht lässt sich die (sowjetmarxistische) Theorie des Klassenkampfes mit dem Hegelschen Anerkennungsproblem in Verbindung bringen(18). Zu diesem Komplex gehört ferner die spezifische Selektivität des sowjetmarxistischen Leninismus, der selbst noch die vorherrschenden Herr-Knecht-Relationen unter spezifischen Perspektiven beurteilte. Die sowjetmarxistische Ideologie betrachtete vor allem die westliche Welt als eine Welt, die von der Herr-Knecht-Relation beherrscht wird. Diese kann man ja auch in jenem Siegeszug des Liberalismus, der zur Artikulation von Fukuyamas Theorie geführt hatte, am Werk sehen; weshalb ein Verzicht darauf in der Tat als ein Symptom von welthistorischer Bedeutung interpretiert werden kann. Zur spezifischen sowjetischen Selektivität gehört aber auf der anderen Seite, dass sie die "eigene" Gesellschaft als ein Universum angesehen hatte, wo dieselbe Herr-Knecht-Relation nicht vorherrscht, die also auf ihre Weise durch die Ausschaltung dieser bestimmenden Komponente ein "Ende der Geschichte" tatsächlich erzielt hatte (19).

Die Welt der Ideologie des Marxismus-Leninismus ist sicherlich keine der grossen Philosophien des 20. Jahrhunderts. Ein Verzicht auf sie ist jedoch aufgrund der vorhin angeführten strukturellen Momente tatsächlich eine entscheidende Wende nicht nur in der Interpretation der Gegenwart, sondern auch im internationalen theoretischen und intellektuellen Verkehr.

Obwohl die ideologisch-wertphilosophische Dimension des Gorbatschowschen Verzichts in der ganzen Fukuyama-Debatte stark akzentuiert wird, darf man jedoch auch nicht aus den Augen verlieren, dass eine Deklaration des Verzichts auf die ideologische Vertretung der Herr-Knecht-Relation gleichzeitig auch eine klare politische Dimension hat. Denn die gleich einsichtigen politischen Konsequenzen dieses ideologischen Wandels führen zu einer Umwertung der globalen politischen Ordnungen und bewirken im gleichen Atemzug die Beseitigung der inneren Schranken, die in den betreffenden Ländern dem Ausbau von demokratischen Institutionen entgegen gestellt worden waren(20).

Auf dieser Linie lässt sich der Grundtenor von Fukuyamas Theorie verifizieren, allerdings nur auf dieser Linie der verschiedenen Ideen und gedanklichen Alternativen. Verfolgt man diese Linie nicht, so erscheinen die Argumente vor allem wegen ihrer mangelnden Explizität nicht und - wie dies die ganze Geschichte der Rezeption bestätigt - die Anwendung einer im deutschen Idealismus wurzelnden universalgeschichtlichen Konzeption auf die Umwälzungen der Gegenwart wird einfach nicht verstanden.
Diese von uns verfolgte Linie bedeutet jedoch nicht, dass die tiefen und komplexen Fragestellungen ausgelotet und gelöst sind. Wir denken hier vor allem an die Problematik des Liberalismus. Auf der einen Seite bewahrheitet sich Fukuyamas These vom Sieg des Liberalismus 1989/1990 voll und ganz, andrerseits geht es ihm nicht um eine philosophische (oder universalgeschichtliche) Rekonstruktion des Liberalismus tout court, sondern darum, einen klar verfolgbaren internationalen politischen Prozess deutlich zu machen.

Eine davon unterschiedene Fragestellung ist es jedoch, dass es zahlreiche Dimensionen des von Fukuyama rekonstruierten historischen Prozesses gab, die im späteren Verlauf der internationalen Prozesse einfach nicht bestätigt worden sind. In diesem Fall geht es also überhaupt nicht mehr um die mehr oder weniger von der universalgeschichtlichen Perspektive diktierten "Eindimensionalität" der Liberalismusinterpretation, sondern vielmehr um jene simple historische (und keinesfalls theoretische) Tatsache, dass zahlreiche Tendenzen dieses Liberalismus, die 1989 und 1990 mit Recht als bestimmend, ja sogar noch als "selbstverständlich" eingestuft werden durften, im tatsächlichen historischen Ablauf einfach nicht eintraten. Wir schliessen uns der Überzeugung an, dass diese Art des Nichteintretens von theoretischen Evidenzhaltungen und Prognosen keine genuin theoretischen Probleme sind(21). Ein Beispiel für diese Elemente liefern jene langen Überlegungen in Francis Fukuyamas Buch, welche die Realisierung der "condition humaine" des siegreichen Liberalismus als eine Art Existenz nach dem Muster von Friedrich Nietzsches "letztem Menschen" modellierten. Dieses ganze Modell gewährt uns einen leicht entzifferbaren Einblick in die Prognose von Fukuyama, von der man jedoch schon heute feststellen kann, dass sie sich nicht bewahrheitet hat. Das ist ein um so grösseres Problem, als durch diese Verschiebung in den historischen (nicht in den theoretischen) Umständen eine der vielversprechendsten theoretischen Errungenschaften Fukuyamas, seine Akzentuierung eines grösseren Anteils des "thymos" in der Interpretation von universalgeschichtlichen (historischen, intellektuellen und politischen) Prozessen hinfällig wird.

Eine Art "List der Vernunft" scheint durch die auf die direkte Gegenwart bezogenen Überlegungen über die hegelianisierenden Thesen Fukuyamas sichtbar zu werden. Der siegreiche Teil der Welt hat die Werte nicht verändert, in deren Zeichen er seinen historischen Sieg erkämpft hat. Für die tatsächliche Verwirklichung dieser Werte tat diese Hälfte der Welt nicht sehr viel, so dass sie sich anschickte, den Umfang und den Inhalt der siegreichen Werte dem "anderen" Teil gegenüber aus leicht durchschaubaren egoistischen Motiven zu minimalisieren. Während für Kant, Hegel und Fukuyama das Universum der liberalen Werte aus Verfassung, Menschenrechten, Gewaltenteilung und Autonomie bestand, lässt sich der Kreis der 'minimalisierten Werte' in der Treue zur monetaristisch-restriktiven Wirtschaftspolitik und im grosszügigen Verhalten den eigenen Minoritäten gegenüber zusammenfassen (all das freilich PLUS ein bisschen Coca Cola). Dies heisst vielleicht aber auch, dass hier eine Herr-Knecht-Problematik neuer Qualität ihren Anfang nimmt, womit eine spezifische Dialektik erscheint: Das Nicht-Eintreten von Fukuyamas Prognosen führt zur Bewahrheitung seiner Analyse der aktuellen Weltstruktur.


1 Die zweigeteilte Welt als diskursbestimmende Grundtatsache erweist sich in einer Geschichte der Globalisierung stets und immer wieder als schöpferischer Faktor. Deshalb erscheint das Ende der Zweiteilung, sozusagen auch noch ohne weitere Interpretation, in der Perspektive eines "historischen Naturalismus" als folgenschweres Faktum. An dieser Stelle sei an jene Disziplinen erinnert, die sich mit "Systemvergleichen" auseinandergesetzt haben, ferner auch an die wieder zu selbständigen Disziplinen führenden Bestrebungen, die "Konvergenz" in Gestalt eines selbständigen Paradigmas zu thematisieren. Diese nur andeutungsweise angeführten Beispiele (über die Theorie etwa der "industriellen" Gesellschaft machen wir ebenfalls nur eine kurze Notiz) zeigen auf eine transparente Weise, dass schon das simple Faktum der Zweiteilung zur Konstitution neuer und selbständiger Wissenschaften geführt hat.

2 Die Auflösung der grossen Kolonialmächte ereignete sich beispielsweise schon in einer Periode der Zweiteilung (womit wir nicht eine unbedingte kausale Verbindung zwischen Zweiteilung und Auflösung von Kolonien herstellen wollen), während etwa die Konstitution der Bewegung der Entwicklungsländer schon eine klare Reaktion auf die Zweiteilung insgesamt war.

3 Die geschichtstheoretischen Dimensionen dieser Behauptung s. eingehender noch an diversen anderen Stellen dieser Arbeit.

4 Die Tatsache des "Nichtvorhergesehenwerdens" wird allgemein anerkannt, ihre Gründe werden aber kaum mit theoretischem Anspruch analysiert. Eine erfreuliche Ausnahme bildet der Band Láttuk-e elore, hogy jön? Budapest, 1992 (zusammengestellt von György Bence), in dem unter anderen eine Analyse über die Unvorhersehbarkeit dieser historischen Wende vom Verfasser dieser Zeilen erschienen ist (A minden és a semmi közötti szellemi tér, auf deutsch: "Der geistige Raum zwischen dem Alles und dem Nichts").

5 Wir erinnern an drei Definitionen von Erik H. Erikson, in denen diejenigen Grundrelationen studiert werden können, die wir - um diesen universalhistorischen Prozess einigermassen anschaulich zu machen - in einen neuen Kontext gestellt hatten: "Man kann diese Periode als psychosoziales Moratorium sehen, währenddessen der junge Erwachsene durch freies Experimentieren mit Rollen einen passenden Platz in irgendeinem Ausschnitt seiner Gesellschaft finden sollte..." (S. 160); "Unter einem psychosozialen Moratorium verstehen wir also einen Aufschub erwachsener Verpflichtungen oder Bindungen und doch handelt es sich nicht nur um einen Aufschub. Es ist eine Periode, die durch selektives Gewährenlassen seitens der Gesellschaft ...gekennzeichnet ist" (S. 181); "Ein echtes Moratorium muss eine zeitliche Grenze und einen Abschluss haben" (S. 297). Alle Zitate: Erik H. Erikson: Jugend und Krise. Die Psychodynamik im sozialen Wandel. Stuttgart, 1970. Die englische Originalfassung erschien 1968.

6 Auch die Unmöglichkeit des Reformkommunismus, deren Gründe im Detail in dieser Arbeit nicht ausgeführt werden kann, soll als ein Moment gelten, welches zum universalgeschichtlichen Charakter der von Fukuyama beschriebenen welthistorischen Wende beigetragen hat. S. darüber eine ungarischsprachige Analyse des Verf.: Sztálinizmus és kulturforradalom között (Zwischen Stalinismus und Kulturrevolution), in: Valóság, 1989/11. S. 56-71.

7 Ausführlich dargestellt in: Endre Kiss, Vorhersehbarkeit und Dezisionismus in der Geschichte, in: Politische Lageanalyse. Bruchsal, S. 1993. 119-130.

8 Dass Albert Camus' ganze Konzeption ebenfalls in der intellektuellen Dimension von Kojève und Hegel verortet werden kann, sollten die folgenden Zitate nur andeutungsweise verdeutlichen, ohne dass wir daran denken könnten, die extrem komplexe und gerade in disziplinärer Sicht tatsächlich universalgeschichtliche Einbettung der Existenzphilosophie von Albert Camus in expliziter Weise zu erschliessen: "Avec Napoléon et Hegel, philosophe napoléonien, commencent les temps de l'efficacité" (S. 166); "Hegel termine superbement l'histoire en 1807..." (S. 252.); "Il a cru que l'histoire en 1807, avec Napoléon et lui-meme, etait achevée, que l'affirmation etait possible et le nihilisme vaincu..." (S. 180). Alle Zitate: Albert Camus. L'Homme révolté. Paris, 1951.

9 S. Gehlens grundsätzliche Studie Über kulturelle Kristallisation (1961), im Band: Studien zur Anthropologie. 1971. - Gehlen definiert seinerseits diejenigen Tatbestände klar und eindeutig, die er zum Kriterium einer Konzeption vom "Ende der Geschichte" nimmt: "Ich exponiere mich also mit der Voraussetzung, dass die Ideengeschichte abgeschlossen ist", a.a.O.) - Gehlens Vorstellungen von einem Ende der Geschichte sind in mehreren typologisch relevanten Zügen mit denen von Fukuyamas verwandt. Den wichtigsten ähnlichen Zug zwischen den beiden Konzeptionen erblicken wir in der Grundeinsicht, dass bei beiden das "Ende" der Geschichte nicht eine Zäsur in der Zeit, sondern die Verwirklichung eines optimalen Grundzustandes definiert wird.

10 Rainer Piepmeier, Das Ende der Geschichte, in: Willi Oelmüller (Hg.), Normen und Geschichte. 1979.

11 Dieses Beispiel gilt uns als der ideale Typus der Vorstellung des Alltagsbewusstseins vom Ende der Geschichte, welche auch als ein Produkt dieses Bewusstseins stets im Horizont dieser Fragestellung anwesend ist. Kein Zweifel, dass die unterschiedlichen Paraphrasen dieser Einsicht bei so grossen Denkern wie Burke, Tocqueville oder Mannheim gleicherweise artikuliert werden. Zahlreiche gedankliche Facetten der Idee "Die, die die Zeit vor der Revolution nicht kannten, wissen nicht, was das Leben ist" s. etwa in Karl Mannheim. Der Konservativismus. Frankfurt am Main, 1984.

12 Es ist wirklich fast eine Notwendigkeit, diejenigen Zumutungen und Zuschreibungen mit einiger Ausführlichkeit zu nennen, die den eigentlichen Inhalt von Fukuyamas Theorem beim Namen genannt haben wollten. A. Bloom, beispielsweise, der vor wenigen Jahren, d.h. auch vor der Wende über die "deutsche Verfremdung des amerikanischen Geistes" ein weltberühmtes Buch schrieb, interpretiert Fukuyamas geheime Botschaft so, als ob nunmehr durch den "Verlust der negativen Orientierungen diejenigen positiven Erforderungen hypertrophieren werden, die die übriggebliebenen irrationalen Wünsche der von der Nüchternheit des Kalten Krieges befreiten Menschheit widerspiegeln werden". Ebenfalls Bloom im späteren: "Aus dem, was Fukuyama sagt, weist manches in die Richtung, dass der Faschismus eine Zukunft hat". Pierre Hassner meint, dass Fukuyama "die Entwicklung des 20. Jahrhunderts auf den Sieg der liberalen Demokratie und der Konsumgesellschaft reduziert". Gertrude Himmelfarb, ebenfalls Teilnehmerin der ersten Runde der Diskussion, fasste die direkte Botschaft von Fukuyama so zusammen: "(Fukuyama) stellt die liberale Demokratie als Endpunkt der Geschichte verallgemeinernd und ewig dar". Irving Kristol spricht direkt von der Notwendigkeit, einen "Schutzzoll gegen die aus Paris importierten Ideen" einzurichten und identifiziert Fukuyamas Botschaft so: "(Herr Fukuyama) teilt uns mit, dass...die Vereinigten Staaten von Amerika die Verkörperung von all dem ist, auf was wir gewartet haben". Daniel Patrick Moynihan fasst diese Aussage in der folgenden Idee zusammen: "..die Menschheit kann (nach Fukuyama) keine neuen Erfahrungen mehr machen..." Alle Zitate aus: The National Interest. Sommer, 1989.

13 "The most serious efforts at writing Universal Histories were undertaken, however, in the German idealist tradition. The idea was proposed by the great Immanuel Kant...This work (Idee zu einer allgemeinen Geschichte in weltbürgerlicher Absicht- E.K.)...defined the essential terms of reference for all subsequent efforts to write a Universal History...Kant's essay did not itself constitute a Universal History...his idea merely pointed to the need for a new Kepler or Newton who could explain the universal laws of human historical evolution...It is remarkable the extent in which Hegel's system fulfilled all the particulars of Kant's proposal for a Universal History, both in form and substance." Francis Fukuyama. The End of History and the Last Man. New York, Toronto, etc. 1992. S. 57-59.

14 The End of History. 58.

15 Es sollte noch tiefer erforscht werden, dass die leichte und manchmal auf eine frappante Weise auf der Hand liegende Anwendbarkeit des klassischen Idealismus auf die theoretisch aufgefasste globale Problematik unserer Zeit nicht auf einer monokausalen Basis, geschweige denn auf einer etwas verschwommenen Vorstellung eines philosophischen Historismus, sondern vielmehr auch (!) auf systematischen und sachlichen Notwendigkeiten beruht. Während bei Hegel diese Anwendbarkeit vor allem auf der Tatsache beruht, dass bei globalen Wendezeiten all das, was bei Hegel metaphorisch unter der Kategorie des Absoluten subsumiert wird, wegen des Ausfalls der politischen und internationalen Vermittlungen plötzlich "unmittelbar" erscheint, wird dieselbe Nähe bei Kant vor allem dadurch erzeugt, dass Kant die sozialontologischen Bestimmungen des Politischen generell wahrnimmt und in seinen Gedankengang einbaut. Abgesehen von den fundamentalen Problemen einer Ontologie des Politischen erscheint dies bei Kant in der Untersuchung der Probleme einer neuen europäischen Ordnung von republikanischen Staaten, der neuen internationalen Ordnung im Kontext des Krieges und des Friedens, der Probleme der Souveränität der Staaten und des Mangels einer möglichen über diesen liegenden Souveränität. Kant schlägt ferner ein ganzes Organon des richtigen internationalen Verhaltens (auf "formellen" Prinzipien fussend) vor, welches bedauerlicherweise der Aufmerksamkeit Fukuyamas entgangen ist.

16 Auch für diesen Fall hängt es davon ab, ob die Kriterien einer konkreten Annahme des "Ende der Geschichte" erfüllt werden oder nicht. Alles weitere Fragen nach den Problemen und Themen, die auf dieser oder jener Linie mit einer Idee des "Endes der Geschichte" in Verbindung gebracht werden können, beeinflusst nicht die Möglichkeit eines "Endes der Geschichte", so die vorhin deklarierten Kriterien in Erfüllung gehen. Weder die Lösung aller realen und sozialen, noch diejenige aller intellektuellen und methodischen Fragen gehört mit Notwendigkeit zur Setzung eines "Ende der Geschichte". Im wesentlichen gilt dies auch für so eminente Kritiker dieser Idee wie Leo Strauss und A. Bloom.

17 Dass in diesem abstrakt-theoretischen Sinne das System des realen Sozialismus während des ganzen Zeitalters seines Bestehens "ideologisch" konzipiert und zum Teil tatsächlich so bestimmt war, wird auch dann in dem Zusammenhang unserer Arbeit vertreten, wenn wir auf der anderen Seite (und für jeden anderen theoretischen Kontext) energisch betonen, dass die soziologische Realität der Ideologien eine durchaus vielschichtige und eigengesetzliche gewesen ist, eine Realität, die in keinem Schema ohne die Gefahr der Vereinfachung und der Ideologisierung zusammengefasst werden kann.

18 Über die disziplinär einwandfreie Richtigkeit dieser Analogie und Isomorphie lässt sich natürlich mit Recht streiten. Dass jedoch Hegels Philosophie und insbesondere die Herr-Knecht-Problematik mit der sozial- und politisch-philosophischen Vision des Marxismus generell vielfach in Zusammenhang gebracht worden ist, ist ein historisches Faktum. Die philosophisch anspruchsvollste Facette dieses Fragenkomplexes ist in unseren Augen die vielfach in theoretische Vergessenheit geratene Aufnahme der Hegelschen Phänomenologie durch den jungen Marx, die ihrerseits auch in diese Richtung weist.

19 Um der Vollständigkeit willen soll auch darauf hingewiesen werden, dass die "westliche" Welt in der Gestalt einer spiegelverkehrten Argumentation sich selbst als eine Gesellschaft definierte, die (metaphorisch) bereits jenseits der Herr-Knecht-Relation liegt und auf solche Weise (wiederum metaphorisch ) ebenfalls ein "Ende der Geschichte" darstellt. Aus der Dualität dieser beiden (sich selbst also jeweils als ein "Ende der Geschichte" ansehenden) Hemisphären entstand also eine Einheit, die in dieser Dualität deklarierterweise noch kein "Ende der Geschichte" ausmachte.

20 Gerade diese Tatsache beweist die Richtigkeit von Fukuyamas ursprünglich theoretisch-universalhistorischem Ansatz mit dem Kampf der Werte. Denn es hat nicht nur einen wertphilosophischen, sondern auch einen politischen und strukturellen Hintergrund, dass der einmalige Verzicht auf die Vertretung eines Wertsystems zum Zusammenbruch dieser Art der Gesellschaft geführt hatte.

21 Auch ohne tiefergehende Analyse der Prognostik jeglicher Provenienz wird klar, dass gerade das Schicksal einer klaren Vorhersage nicht unabhängig von der Praxis jener Exekutive beurteilt werden kann, für welche die Vorhersage in aller Deutlichkeit klar erschienen ist. Diese Einsicht ist zweifellos eine triviale. Sie ist jedoch stets immer wieder zu betonen, weil in der Analyse der modernen politischen und sozialen Entwicklung diese, wie gesagt, triviale Unterscheidung kaum vollzogen wird, womit multikausale und komplexe soziale und politische Ereignisse als unmittelbarer Beweis oder Gegenbeweis von "Ideologien" oder "Prognosen" aufgefasst werden.



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