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Date :  2001-01-31
langue :  Allemand
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Coolitude

Coolitude

Source :  Khal Torabully


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Das Konzept der „Coolitude“ (1) bezieht sich auf den „Kuli“ (fr.: coolie) im weitesten Sinne: auf seine stumme Überfahrt, auf seine Geschichte, die aus Exil und Schweigen besteht. Es bezieht sich auf den, der als Letzter auf Mauritius, in Afrika und oder auf den Antillen angekommen ist und das Schlusslicht in der kulturellen Komplexität bildet.

Vision der Zukunft

Dieser Neologismus verweist auf eine übernommene Identität, die durch eine Reise durch die Erinnerung wiederangeeignet wurde und über das Konzept der indianité (2) hinausgeht, das die Vorstellung einer Rückkehr ins Heimatland Indien impliziert. Er bezeichnet den Prozess der métissage, der Vermischung, des interkulturellen Austausches, der Kreolisierung, wie sie heute geschieht.

Aktuell berücksichtigt er jene interkulturelle Ausdrucksformen des zeitgenössischen kreativen Schaffens, in denen ein indischer Anteil spürbar ist. Dieses Konzept will aber auch die Beziehungen zwischen den Nachfahren der Sklaven und denen der Kulis neu definieren, die in der Kolonialgeschichte oft nur sehr inadäquat dargestellt wurden.

Die Coolitude wurzelt also in der Dynamik einer Öffnung gegenüber anderen Kulturen, ohne ihre eigenen kulturellen Vorläufer zu entwerten. Sie ist aber auch eine Vision der Zukunft in einer Welt, die immer stärker dazu aufgerufen ist, sich als eine Poetik der Beziehungen zu begreifen, in der das Andere und dessen Identitäten, Kulturen und Besonderheiten Reibungsflächen in der Sprache, den Vorstellungswelten und in der Konstruktion komplexer, multipler Identitäten erzeugen.

Spiel der Anomie

Coolitude, Kreolität: Unsere Codes entstehen nach dem Vorbild unserer Exile. Diese Annäherung, diese „Linie“, ist umso prägnanter für Nachfahren von Immigranten aus Indien, als die Kulis als Letzte ihren Platz innerhalb des komplexen Codes pluraler Gesellschaften gefunden haben.

Im ersten Drittel des 19. Jahrhunderts, das so unheilvolle Erinnerungen wachruft, betrat der indische Kontraktarbeiter Gebiete, in denen gerade ein Verschmelzungsprozess im Gange war. In vielen der Räume, in die er sich vorwagte, sah sich dieser letzte „halb nackte Migrant“ mit den ersten Phasen einer kulturellen Métissage konfrontiert, mit den ersten Zusammenstößen zwischen indischer, westlicher und afrikanischer Kultur, mit den ersten Anzeichen einer Kreolisierung. Die Überquerung zwang ihn, sich in einem Umfeld, in dem Ausschließung die Regel zu sein scheint, neu zu denken.

Auf Mauritius lehnt der Weiße den Freigelassenen ab, der sich dem Emanzipierten verschließt, der den Vertragsarbeiter ablehnt. Sein Anderssein verpflichtet ihn, eine andere Sicht der Welt zu vertreten. Einer Welt im Ungleichgewicht: Der indische Exilant lebt bereits in der Coolitude.

Das Anderswo ist für den Kuli, der sich niederlassen will, zuerst einmal eine konfuse Poetik, getränkt von Schweigen, von Blicken, von Ungesagtem. Der Letztangekommene fühlt sich verpflichtet, sich innerhalb dieses neuen kulturellen Spiels zu verorten, in dem der Andere eine zwiespältige Gestalt ist, welche die Zeichen des Erkennens und der Vernichtung in sich trägt und Symbole verschlingt. Das Spiel der Anomie, das auf dem Fehlen von sozialen Anhaltspunkten und Normen basiert, treibt den Kuli auf die unterste Stufe der Leiter, wo es keine Worte mehr gibt.

„Alliierter der Zucker-Oligarchie“

Wer ist aber der Kuli, bevor er zum Exilanten wird?

Die Kulis sind die Bewohner von Kula in der Gegend von Indus und Ganges, ein halbnomadisches Volk, erprobt in harter landwirtschaftlicher Arbeit. Der Begriff „Kuli“, der das koloniale Vokabular des Post-Sklaventums sicher am stärksten geprägt hat, erfährt eine semantische Verschiebung; es findet nichts anderes als die Reduktion seiner Existenz als menschliches Wesen statt: vom Bewohner von Kula zum Träger und später zum Habenichts.

Der Begriff wird zum Metonym: Handlanger, Tagelöhner. Der Kuli, aufs Minimum reduziert, ist der Paria unter den Harijan (den Unberührbaren), also ein Tier, ja, fast ein Ding – was nicht ohne Folgen für seine Ausdrucksfähigkeit bleibt: Ein Kuli ist der, der arbeitet, aber nicht spricht. (3)

In dem Moment, in dem der Kuli symbolisch mit dem Sklaven gleichgestellt wird, erwächst Verachtung zwischen den emanzipierten oder befreiten Kreolen einerseits und den Kulis andererseits. Der Kuli ist der Sklave unter dem Sklaven, ein zweitklassiges Arbeitstier. Und was noch schlimmer ist: Er wird als „freiwilliger“ Sklave wahrgenommen, der den Preis der Arbeit verdirbt, seinen Herren vor einer Revanche seines früheren Sklaven „rettet“.

Der Kuli als „Alliierter der Zucker-Oligarchie“ „stiehlt“ seinen Aufstieg dem Emanzipierten.

Seit dieser missglückten Begegnung, die sich später in ein obskures Spiel von Ablehnung und Mimikry verwandelt, leben die „kreole“ (4) und die Welt des Kuli (5), abgesehen von einigen wenigen Berührungspunkten, nebeneinander, in abgeschlossenen Welten bzw. in soziopolitischer und kultureller Konfrontation.

Reise des Kuli

Der symbolische Weg des Kuli folgt den Spuren der Sklaverei, was aber nicht die beträchtlichen Unterschiede in deren jeweiliger ursprünglicher Poesie verschleiern darf. Der Konflikt zwischen Kreolen und Kulis wurzelt im fundamentalen Unterschied in ihrer Poetik der Reise: Die Reise des Kuli war ein virtuelles Hin und Zurück, die des Sklaven ist ein einfaches Hin, ohne Wenn und Aber.

Der Kuli ist auch nicht so beschnitten in und abgeschnitten von seiner Stimme, wie es der Sklave war. Er bewahrte sich seine Muttersprache, seine Gebräuche, auch wenn diese – wie die ihnen zugrunde liegenden Texte – auf eine harte Probe gestellt wurden. Aber immerhin machten sich die Kulis ungeachtet ihrer Religion mitsamt ihren heiligen oder nicht-heiligen Büchern auf die Reise. Der Kuli bewahrte sich so seine semiologischen Anhaltspunkte, auch wenn diese letztendlich umgestoßen wurden.

Er verfügte über eine textuelle Stütze, die es ihm erlaubte, über sein Schicksal zu meditieren und sich seine Strategie des Widerstands und des sozialen Aufstiegs auszudenken.

Auch andere Unterschiede im Exil trennen die Poetiken von Kulis und Kreolen. Der Sklave ist seiner Sprache beraubt, also eines zentralen Aspekts für die Entwicklung seines spezifischen In-der-Welt-Seins. Diese sinn-lose Leere verleiht ihm eine besondere Funktion: Er ist der, der die kreolische Sprache hervorbringt, aber auch der, der ein weiteres Mal im Imaginären, in seinem tiefsten Inneren, zugrunde geht.

Der Kreole ist die Spur, weche die Monstrosität dieser Epoche hinterlassen hat, verkörpert aber gleichzeitig auch die vollendetste und majestätischste aller Strategien des Umwegs – das schönste Zeichen für den Widerstand des Sklaven.

Träger neuer Zeichen

Die Coolitude ist das indische Alter Ego der Kreolität. Die Coolitude ist für die Indianité das, was die Kreolität für die Négritude ist. Die Coolitude hat nichts von einem ethnischen Aufschrei. (6) Sie ist die Akklimatisierung der Kultur Indiens an eine Welt der Vielfalt, die Begegnung zwischen Französisch, Englisch, Hindi, Bhojpure, Urdu – und mit einer kreolischen Poetik.

Die Identität des Kuli muss in der Konfrontation mit dem Anderssein zum Ausdruck kommen und in der Aneignung des interkulturellen Humus, ohne seine Wurzeln zu verleugnen.

Der „sprachfähige Kuli-Vertragsarbeiter“ (l‘angagé coolie – Wortspiel mit „langage“, Sprache, und „engagé“, der Vertragsarbeiter) – das ist der neue Kontrakt: Träger neuer Zeichen, Vermittler zwischen den Bereichen des Imaginären – zwischen Indien, der Insel und den Kontinenten.

In dieser Heimsuchung der Sprache kann dieser der Sprache fähige Kuli den Sinn seiner Irrfahrten finden, ein Körper in der opaken Materie der Wörter. Auf dass das Signifikant dereguliert, verlängert und vielstimmig gemacht wird, um eine Welt, die sich ihrer Ordnung noch zu sicher ist, neu zu fassen – ein Kuli-Ausreißversuch sozusagen!


Aus dem Französischen von Ingrid Fischer-Schreiber


Anmerkungen

1 Dieses Konzept geht auf das Werk Cale d‘Étoiles-Coolitude des Lyrikers Khal Torabully (Azalée, 1992) zurück.

2 In den historischen Anfängen dieses Konzepts, das Jean-Georges Prosper als „indische Négritude“ bezeichnet, haben wir uns vor allem der Situation in Mauritius gewidmet, weil an diesem Beispiel die Ähnlichkeiten mit anderen Ländern, die ebenfalls Zielländer der indischen Immigration waren, am deutlichsten werden.

3 Siehe den Roman von D. Dambreville aus Réunion L‘Écho du Silence, in dem der Kuli stumm ist.

4 Der Begriff créol bezeichnet auf Mauritius einen Inselbewohner afrikanischen Ursprungs. Hier haben Begriffe wie créolie, créolité und créolisation nicht dieselbe Bedeutung wie auf den Antillen, wo der Terminus créol die Anpassung eines Fremdkörpers an einen anderen Raum bezeichnet.

5 Ich habe diesen Begriff im Neologismus coolitude beibehalten, der allerdings semantisch und existenziell stark reduziert ist und in den Ohren Menschen indischer Abstammung keinen guten Klang hat, weil er zu sehr an den „Neger“ erinnert, der die gleiche Erinnerung teilt.

6 Übrigens war der Kuli auch Bretone, genauso wie Chinese, Schwarzer ... Außerdem würde ich den Kuli im weitesten Sinne des Wortes als eine Menschen definieren, der über keinen seine Überfahrt beschreibenden Text verfügt, als jemanden, der Zeichen zwischen den Codes weitergibt.


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