In Afghanistan kommen Frauen weiterhin – etwa wegen ihrer eigenen Vergewaltigung – ins Gefängnis, ein Projekt des Auswärtigen Amtes unterstützt nun Juristinnen Von Constanze von Bullion
Vielleicht hätte Semira Abai einfach nicht zur Polizei gehen dürfen. Womöglich hätte sie einen großen Bogen um jeden schlagen müssen, der nach Behörde oder Justiz aussah. Zu glauben aber, dass eine Frau wie sie in den Genuss fundamentaler Menschenrechte kommen würde im neuen Afghanistan, das hat sich als naiv herausgestellt. Semira Abai, die in Wirklichkeit anders heißt, war noch keine 20, als sie mit einem Mann verheiratet wurde, der plötzlich starb. Als sie dem nächsten weitergereicht werden sollte, lief sie weg und zeigte die geplante Zwangsehe an. Der Frau kann geholfen werden, befand ein Richter – und sperrte sie ein. „Zu ihrem eigenen Schutz“, wie es in seinem Urteil hieß.
„Ehrenverbrechen“ nennen sich die Taten, für die ungezählte Afghaninnen noch immer hinter Gitter wandern. Da gibt es Frauen, die für ihre eigenen Vergewaltigung bestraft werden, weil sie angeblich den Ruf der Familie beschmutzt haben. Witwen, die vor totaler Rechtlosigkeit fliehen und inhaftiert werden. Mädchen, die vor gewalttätigen Verwandten weglaufen oder sich nicht zur Beilegung von Familienstreitigkeiten „verschenken“ lassen. Zwei Jahre nach dem Sturz der Taliban, so ein am Montag erschienener Bericht von Amnesty International, hat sich die Regierung von Hamid Karzai „als unfähig erwiesen, die Rechte vor Frauen zu schützen“. Was jedoch nicht bedeutet, dass sich gar nichts geändert hat im Land der Burkas.
„Neben den desolaten Zuständen gibt es spürbare Verbesserungen“, berichtet die Vorsitzende des Menschenrechtsausschusses im Bundestag, Christa Nickels, die am Wochenende von einer Delegationsreise aus Afghanistan zurückgekehrt ist. Im Januar hatte sie in Kerkern von Kabul und der Provinz 20 Frauen besucht, die wegen „Ehrenverbrechen“, teilweise mit Säuglingen, Haftstrafen absaßen. 19 von ihnen sind inzwischen frei – was sie einem Projekt verdanken, das das Auswärtige Amt mit 60 000 Euro fördert und das sich als kleiner, aber wirksamer Versuch versteht, Afghaninnen ein Minimum an Rechtssicherheit zu geben.
„Das Pilotprojekt, das Deutschland der internationalen Frauenorganisation Medica mondiale übergeben hat, ist kein Tropfen auf dem heißen Stein, sondern ein Schlüsselprojekt“, sagt Nickels, die vor allem in der Förderung engagierter Juristinnen Fortschritte sieht. Fünf bis zehn Expertinnen für Frauenrecht arbeiten inzwischen für das Projekt. Die Anwältinnen, die in traditioneller Kleidung auftreten und oft selbst gläubige Frauen sind, sollen von den Richtern erst ungläubig bestaunt worden sein, dann aber „großen Eindruck“ hinterlassen und eine Serie von Freisprüchen erwirkt haben.
Solche Einzelauftritte können nicht darüber hinwegtäuschen, dass von rechtsstaatlichen Verhältnissen noch keine Rede sein kann. So schnell sich die Gefängniszellen leeren, so schnell sind sie auch wieder voll. Immer öfter hört man wieder von niedergebrannten Mädchenschulen, von Angriffen auf Politikerinnen und Menschenrechtlerinnen, von all den Gegenden, in denen Gesundheitsversorgung und Bildung für Frauen Fremdworte geblieben sind. Und ob mit der Gleichstellung aller „Bürger“, die im Dezember von der Verfassungsgebenden Versammlung beschlossen werden soll, auch Frauen gemeint sind, wird sich noch zeigen müssen.
Gleichberechtigung für Frauen sei in Afghanistan durchaus erwünscht, beschied der oberste Richter des Landes der deutschen Delegation freundlich. Mit der kleinen Einschränkung allerdings, dass die neuen Gesetze nicht dem Religionsgesetz der Scharia widersprechen dürften. Steinigungen wegen Ehebruchs etwa soll es nicht mehr geben – offiziell. Ob und wie die Paragrafen letztlich umgesetzt werden, zumal in der ländlichen Stammesgesellschaft, bleibe „eine Auslegungsfrage“, räumt Christa Nickels ein. Bei allem Optimismus, so die Bündnisgrüne, liege noch „vieles im Argen“ beim Aufbau des afghanischen Rechtswesens, für das derzeit Italien verantwortlich ist. Ein Anfang immerhin sei gemacht. „Jetzt müssen da erhebliche Ressourcen reingesteckt werden.“