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Date :  2018-06-27
langue :  Allemand
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Sind gemeinsame Werte notwendig für die internationale Zusammenarbeit?

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OXFORD – Zwischen eskalierenden Handelsstreitigkeiten und Verwerfungen auf dem G7-Gipfel in diesem Monat ist der Zusammenbruch der globalen Governance deutlich sichtbar geworden. Auf die Vereinigten Staaten ist kein Verlass mehr, wenn es darum geht, bestehende Regeln zu wahren, geschweige denn sie durchzusetzen und von den Ländern im Allgemeineren ist nicht zu erwarten, dass sie gemeinsamen Normen zustimmen, geschweige denn, sich auch daran halten. Heißt das, die regelbasierte Weltordnung ist zum Scheitern verurteilt?

In den letzten sieben Jahrzehnten bildeten demokratische Werte die Grundlage der von den USA und Europa angeführten Bestrebungen, die internationale Zusammenarbeit zu vertiefen. Seit dem Ende des Kalten Krieges, als der Westen den Sieg der liberalen Demokratie beanspruchte, haben führende politische Vertreter der USA und Europas oftmals „gemeinsame Werte“ ins Treffen geführt wie etwa im Rahmen von Zusammenkünften der NATO und der G7 (die als G8 bekannt waren, bis Russland im Jahr 2014 wegen der Verletzung dieser Werte ausgeschlossen wurde).

Aber die Welt hat sich verändert. Russland muss nicht mehr Teil des Klubs der „Sieger“ des Kalten Krieges sein, um seine geostrategischen Interessen voranzutreiben. China war nie Mitglied dieses Klubs und ist trotzdem zu einer bedeutenden Weltmacht aufgestiegen. Neben anderen wichtigen Schwellenländern stellen diese Staaten zunehmend eine Herausforderung der geopolitischen Vorherrschaft des Westens dar, die man für gesichert hielt.

Noch gewaltiger allerdings ist die Herausforderung, die sich innerhalb des Westens herausbildet, wo gegen das Establishment gerichtete politische Kräfte in den USA und Europa Unterstützung gewinnen, indem sie lange akzeptierte Werte und Formen der Zusammenarbeit infrage stellen.

Freilich hat der Westen trotz des Brexit-Votums in Großbritannien und Amerikas unilateraler Diplomatie und der Handelszölle unter Präsident Donald Trump die Vorstellung gemeinsamer Werte nicht aufgegeben. Nachdem Trump versuchte, Bürgern aus sieben Ländern mit muslimischer Bevölkerungsmehrheit die Einreise in die USA zu verweigern, sagte Kanzlerin Angela Merkel, diese Politik sei „nicht gerechtfertigt.“ Sie äußerte sich anlässlich einer gemeinsamen Pressekonferenz mit dem schwedischen Ministerpräsidenten Stefan Löfven, der Trumps Schritt als „zutiefst bedauerlich“ bezeichnete. Löfven wies darauf hin, dass Schweden und Deutschland „grundlegende Werte teilen“ und betonte die „wichtige Rolle der Europäischen Union für Werte und Menschenrechte.“ Merkel ihrerseits verwies auf die Bedeutung gemeinsamer Werte bei der Reaktion auf Herausforderungen wie dem internationalen Terrorismus.

Allerdings ist es töricht, wenn europäische Mächte glauben, sich auf gemeinsame Werte verlassen zu können, um internationale Zusammenarbeit zu erreichen, so wie es eine Torheit des Westens war, davon auszugehen, China würde sich nach seinem Beitritt zur Welthandelsorganisation irgendwie in eine liberale Demokratie verwandeln. Es ist unwahrscheinlich, dass europäische Länder China, Russland oder die Trump-Administration davon überzeugen werden, ihre Weltsicht zu übernehmen.

Das heißt nicht, dass internationale Zusammenarbeit unmöglich geworden wäre und es heißt noch viel weniger, dass die Länder keine andere Wahl haben, als sich für eine bevorstehende Phase der dysfunktionalen Allianzen, der Stellvertreterkonflikte oder sogar Kriege zu wappnen. Vielmehr heißt es, dass Kooperation nicht in gemeinsamen Werten, sondern in gemeinsamen langfristigen strategischen Interessen verankert sein muss. Das Gebot der Stunde für die Länder besteht nun darin, ihre langfristigen strategischen Interessen zu definieren; festzulegen, wo sich diese mit den Interessen anderer Länder überschneiden (oder auch nicht); und welche Systeme des wechselseitigen Ausgleichs helfen könnten, diesen Interessen zum Durchbruch zu verhelfen.

Ein offenkundiger Bereich bei der Bewertung gemeinsamer Interessen ist der Handel. Die Verhängung von Zöllen auf Stahl und Aluminium durch Trump ist zumindest bei manchen in seiner politischen Basis durchaus beliebt, brachte aber Amerikas engste Verbündete derart in Rage, dass sie bereits Vergeltungsmaßnahmen einleiteten.

Ökonomen prognostizieren, dass die von der Trump-Administration verhängten Zölle zum Verlust von 400.000 Arbeitsplätzen in den USA führen werden - das heißt, für jeden im Bereich Stahl und Aluminium geretteten Arbeitsplatz gehen 16 Arbeitsplätze verloren. Dieser Ansatz ist klarerweise in niemandes langfristigem strategischen Interesse, auch wenn er kurzfristig politische Vorteile mit sich bringt.

Einen Schwerpunkt in der Abwägung der strategischen Interessen der Länder muss die Technologie bilden. Google und Alibaba konkurrieren mittlerweile um die besten Computeringenieure der Welt – viele davon Europäer - um das Rennen hinsichtlich der Kontrolle der weltweiten Daten zu gewinnen, um Quantencomputer zu entwickeln (die Grundlage der nächsten Generation der Verschlüsselung) und um profitablere Anwendungen künstlicher Intelligenz zu schaffen.

Die Europäer sind von solchen Unternehmen abhängig geworden, die alle in China oder Amerika ansässig sind. Doch Europa hat sich mehr auf die Durchsetzung gemeinsamer Werte auf dem Tech-Sektor konzentriert – nämlich auf die Stärkung der Datenschutzbestimmungen – als auf die Entwicklung einer langfristigen Strategie zur Verbesserung der Wettbewerbsfähigkeit. Die Definition einer derartigen Strategie könnte Europa helfen, Bereiche für den wechselseitigen Ausgleich zu finden.

Einen dritten Bereich mit Potenzial für strategische Zusammenarbeit bilden Entwicklungshilfe und Investitionen in die ärmsten und fragilsten Staaten der Welt. Diese Zusammenarbeit ist von entscheidender Bedeutung bei der Bekämpfung von Terrorismus, Menschenhandel und Migration. Auch hier agieren die Länder gegen ihre Interessen, wenn die USA und Europa Hilfsbudgets kürzen und versuchen, die Zuwanderung an den Grenzen zu kontrollieren.

Unterdessen investiert China massiv in ärmeren Ländern, aber in einer Weise, die von den USA und Europa ganz und gar nicht goutiert wird. Während sich die USA und Europa dem Thema Entwicklung aus Sicht der Armutsbekämpfung und der guten Regierungsführung nähern, räumt China der Infrastrukturentwicklung als Teil seiner Industriepolitik eine höhere Priorität ein. Es hat sogar Infrastruktur in den notleidenden Ländern der Eurozone wie Portugal und Griechenland erworben - ein Schritt, der den Mangel an strategischem Denken in Europa offenbart.

Allerdings wird keiner dieser Ansätze ohne wechselseitigen Ausgleich erfolgreich sein. Dies geht implizit aus den Schlussfolgerungen hervor, zu denen die LSE-Oxford-Kommission über staatliche Fragilität, Wachstum und Entwicklung unter dem Vorsitz des ehemaligen britischen Premierministers David Cameron im April gelangte. Wie aus dem Bericht der Kommission hervorgeht, werden alle wichtigen Mächte einen pragmatischeren und geduldigeren Ansatz verfolgen müssen, der sich nicht auf eine lange Reihe unmöglicher Ziele, sondern auf lokale Bedürfnisse und Kapazitäten konzentriert.

In einem vielversprechenden Schritt in Richtung eines strategischen Ausgleichs hat China eine internationale Kooperationsbehörde eingerichtet, die die ehrgeizige Seidenstraßen-Initiative des Landes unterstützt. Dieses neue Gremium soll ermöglichen, dass Hilfe „ihre wichtige Rolle in der Diplomatie der Großmächte spielt“. Die USA und Europa müssen jetzt mehr tun, um ihre eigenen langfristigen strategischen Ziele zu entwickeln und nach neuen Wegen in der internationalen Zusammenarbeit zu suchen

Systeme des wechselseitigen Ausgleichs zur Realisierung gemeinsamer Interessen sind möglich. Wenn etablierten internationalen Organisationen in dieser Funktion nicht mehr hinreichend vertraut wird, brauchen die USA und Europa möglicherweise neue innerstaatliche Regelungen. So hat der ehemalige US-Außenminister Henry Kissinger beispielsweise ein ständiges Büro im Weißen Haus für die Verwaltung der Beziehungen zu China vorgeschlagen. Da sich die wertebasierte globale Governance weiter verschlechtert, könnte die Notwendigkeit solcher Mechanismen kontinuierlicher Interaktion nicht dringlicher sein.

Aus dem Englischen von Helga Klinger-Groier


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