Wenn Donald Trump etwas versteht, dann die Vorteile des Bankrotts und des Finanzrecyclings. Er weiß alles über den Erfolg, der mit strategischen Zahlungsausfällen gefolgt von massiven Schuldenabschreibungen und der Schaffung von Vermögenswerten aus Verbindlichkeiten erreicht werden kann. Aber begreift er auch den grundlegenden Unterschied zwischen den Schulden eines Bauunternehmens und den Schulden einer großen Ökonomie? Und versteht er, dass Chinas Privatschuldenblase ein Pulverfass unter der Weltwirtschaft darstellt? Viel hängt davon ab, ob er das erfasst.
Trump verdankt seine Wahl einer Welle der Unzufriedenheit über den kolossal falschen Umgang des Establishments sowohl mit dem Boom vor 2008 als auch mit der Rezession nach 2008. Mit seinem Versprechen eines nationalen Konjunkturprogramms und protektionistischer handelspolitischer Maßnahmen, um Jobs in der industriellen Fertigung wieder in das Land zu bringen, brachte er es bis ins Weiße Haus. Ob er nun auch liefern kann, hängt davon ab, ob er die Rolle Amerikas in den „guten alten Zeiten“ ebenso versteht, wie die Rolle, die das Land momentan spielen kann und – ganz entscheidend – ob er um die Bedeutung Chinas weiß.
Vor 1971 gründete die globale Hegemonie der USA auf Amerikas Leistungsbilanzüberschuss gegenüber dem Rest der kapitalistischen Welt, den die USA zu stabilisieren halfen, indem sie Teile ihres Überschusses nach Europa und Japan recycelten. Das unterstützte überall die wirtschaftliche Stabilität und eine stark rückläufige Ungleichheit. Als Amerika aber in eine Defizitposition geriet, konnte das globale System nicht mehr funktionieren, weil es in eine von mir so bezeichnete globale Minotaurus-Phase eintrat.
In der antiken Mythologie verdankte König Minos von Kreta seine Hegemonie dem Minotaurus, einem tragischen Untier, das unter Minos Palast gefangen gehalten wurde. Die unendliche Einsamkeit des Minotaurus war nur mit der Angst vergleichbar, die er allerorten verbreitete, weil sein unersättlicher Appetit nur mit Menschenfleisch gestillt werden konnte – wodurch Minos Herrschaft garantiert wurde. Deshalb setzte in regelmäßigen Abständen ein Schiff mit einer Ladung aus Jünglingen und Jungfrauen aus dem weit entfernten Athen nach Kreta über, um dem Untier den menschlichen Tribut zu zollen. Dieses grausame Ritual war von entscheidender Bedeutung, die Pax Cretana zu bewahren sowie die Hegemonie des Königs aufrecht zu erhalten.
Nach 1971 verlief die Ausweitung der amerikanischen Hegemonie nach einem analogen Prozess ab. Der Minotaurus war niemand anderer als das US-Außenhandelsdefizit, das wachsende Mengen der Netto-Exporte dieser Welt verschlang. Amerikas aufkeimendes Defizit wurde durch Billionen Dollar täglicher Nettozuflüsse an die Wall Street finanziert, die von fernen Fabriken ausländischer (und oftmals amerikanischer) Eigentümer stammten – ein moderne Form des Tributs an den globalen Minotaurus.
Je stärker das Defizit anstieg, desto größer wurde sein Appetit auf europäisches und asiatisches Kapital. Wirklich global wurde der Minotaurus aufgrund seiner Funktion: er half beim Recycling des Finanzkapitals (Gewinne, Ersparnisse, überschüssige Finanzmittel). Er sorgte dafür, dass funkelnde deutsche Fabriken weiter ausgelastet waren. Er verschlang alles was in Japan und später auch in China produziert wurde. Gleichzeitig allerdings lernte die Wall Street, diese Kapitalzuflüsse mittels exotischer Finanzinstrumente mit einem Turbolader auszustatten. Die Schleusentore der Finanzialisierung brachen auf und die Welt wurde mit Schulden überschwemmt.
Im Herbst 2008 wurde der Minotaurus tödlich verwundet, nachdem er auf eine Mauer aus privaten Schulden prallte, die als Nebenprodukt seines Appetits entstanden war. Obwohl die amerikanische Notenbank Fed und das Finanzministerium den US-Märkten wieder auf die Beine halfen (zu Lasten der schwächeren Amerikaner, die seit den 1970er Jahren zurück gelassen wurden) war nichts mehr so wie früher: die Wall Street war immer weniger in der Lage, die globale Recyclingschleife zu „schließen“. Dem US-Bankensektor gelang es nicht mehr, Amerikas Handels- und Haushaltsdefizite zu nutzen, um genügend Binnennachfrage zur Aufrechterhaltung der Nettoexporte der restlichen Welt zu schaffen. Ab diesem Zeitpunkt war es für die Weltwirtschaft unmöglich, ihr Gleichgewicht wieder zu erreichen.
Nach der tödlichen Verwundung des Minotaurus hat Amerika nicht nur der Fed und dem Finanzministerium zu danken, dass mit ihrer Hilfe eine neue Große Depression vermieden werden konnte. Die USA wurden auch vom Drachen gerettet: die chinesische Regierung erhöhte die nationalen Investitionen auf ein beispielloses Niveau, um die aufgrund der Kontraktion bei den Ausgaben in den USA und Europa entstandene Flaute auszugleichen. Viele Jahre lang ermöglichte China einen Amoklauf der Kreditschöpfung auf dem formellen Bankensektor und durch Schattenbanken und gestattete sogar, von der Freigebigkeit aufgrund des leichten Geldes der Fed zu profitieren, indem man in US-Dollar denominierte Kredite aufnehmen konnte. Auf den Punkt gebracht kann man sagen: der Drache sprang ein, um das Gleichgewicht im Westen wiederherzustellen, als der Minotaurus dazu nicht mehr in der Lage war.
Die Führung Chinas wusste, was sie tat. Sie schuf eine Blase aus untragbaren Investitionen, um Europa und den USA die Chance zu geben, die Kurve zu kriegen. Leider gelang dies weder hier noch dort: in Amerika aufgrund der Pattsituation zwischen Präsident Barack Obama und dem republikanisch dominierten Kongress und in Europa aus Gründen, die zu schmerzlich sind, um sie hier erneut aufzuzählen. Und als die Auswirkungen dieser Verkettung unglücklicher Umstände im Jahr 2015 angesichts steigender Zinssätze in den USA und gleichzeitig sinkender Rohstoffpreise spürbar wurden, musste China die Kreditschöpfung nochmals ankurbeln.
Heute liegen dem chinesischen Kreditboom Sicherheiten zugrunde, die beinahe so dürftig sind, wie jene von Bear Sterns, Lehman Brothers und anderen im Jahr 2007. Außerdem: da der chinesische Renminbi extrem überbewertet ist, nehmen Unternehmen Dollar-Kredite auf, um ihre in Dollar denominierten Schulden frühzeitig zurückzuzahlen, wodurch Abwärtsdruck auf den Wechselkurs ausgeübt wird.
Soweit überhaupt erkennbar, scheint Trumps Plan für Menschen, die seit den 1970er Jahren auf der Strecke geblieben sind, auf zwei Säulen zu beruhen: nationale Konjunkturbelebung und bilaterale Abkommen unter Androhung von Zöllen und Quoten. Wenn er allerdings mit harten Bandagen gegen China kämpft, die Chinesen dazu bringt, den Renminbi abzuwerten sowie mit Zöllen und Ähnlichem droht, sticht er damit möglicherweise in die chinesische Privatschuldenblase – und löst damit eine Flut von bösen Folgen aus, die jede nationale Konjunkturbelebung in den USA ersticken würde.
In diesem Fall würden sich Trumps Infrastruktur-Ausgaben zu noch mehr staatlichen Leistungen für Unternehmen wandeln und für einen vernachlässigbaren Multiplikatoreffekt sorgen. Das wiederum würde zukünftigen Sparprogrammen den Weg ebnen, da Panik hinsichtlich weiterer Anhebungen der US-Zinssätze und krisenhafter Entwicklungen des Bundeshaushalts bestehende ungedeckte Verpflichtungen des Staates (Sozialversicherung beispielsweise) unter Druck bringen.
Wenn Trumps mittelfristige Wirtschaftsstrategie Aussicht auf Erfolg haben soll, muss er begreifen, dass nicht die Staatsschulden der USA, sondern die Privatschulden in China restrukturiert werden müssen. Andernfalls könnten die Renditen der US-Staatsanleihen durch die Decke gehen und damit die Tragbarkeit der amerikanischen Staatsschulden massiv schwächen.
Ebenso muss Trump einsehen, dass er Amerika nicht durch eine Neuauflage der ungedeckten Konjunkturbelebung unter Ronald Reagan wieder groß machen kann. Dieser Trick funktionierte, als der Minotaurus in Ketten lag und gefüttert wurde; er funktioniert nicht, wenn dem Drachen das Feuer ausgeht. Wenn es Trump wirklich darum geht, die US-Wirtschaft wieder ins Gleichgewicht zu bringen, so dass jene zurückgelassenen Menschen, denen er so viel versprochen hat, von Wachstum profitieren, sollte er vielmehr Anleihen bei Franklin D. Roosevelt und eine keynesianische Erneuerung des Bretton-Woods-Systems anstreben.
Aus dem Englischen von Helga Klinger-Groier