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Date :  2016-10-26
langue :  Allemand
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Rückkehr zum Containment


„Hauptelement jeder US-Politik gegenüber der Sowjetunion muss ein langfristiges, geduldiges, aber konsequentes und umsichtiges Containment sein“, schrieb der US-Diplomat George Kennan 1947 in einem Artikel in Foreign Affairs, den er bekanntermaßen mit „X“ unterzeichnete. Ersetzt man „Sowjetunion“ durch „Russland“, macht Kennans Politik des „Containments“ auch heute absolut Sinn. Es scheint fast, als hätte sich in beinahe 70 Jahren nichts geändert, obwohl in Wahrheit alles anders ist.

Natürlich könnte man sagen, dass die Sowjetunion dauerhaft in Schach gehalten wurde. Aber Russland zeigt heute dieselben „expansiven Neigungen“, vor denen Kennan damals warnte. Tatsächlich hat das Maß des Vertrauens zwischen Russland und dem „Westen“ heute seinen tiefsten Punkt zumindest seit Ende des Kalten Krieges erreicht. Laut Witaly I. Tschurkin, Russlands Botschafter bei den Vereinten Nationen, sind die derzeitigen Spannungen „vermutlich die schlimmsten seit 1973“, als der Jom-Kippur-Krieg die Vereinigten Staaten und die Sowjetunion einer nuklearen Konfrontation näher brachte als zu jeder anderen Zeit seit der Kubakrise.

Ein derartiger Pessimismus ist gerechtfertigt. Allein in diesem Jahr haben sich die Quellen des Zerwürfnisses mit Russland vermehrt und vertieft. Russland sich von einer Anzahl von Nuklearabkommen zurückgezogen, und der Kreml hat vor kurzem atomwaffenfähige Iskander-Mittelstreckenraketen in Kaliningrad nahe der polnischen Grenze stationiert.

Darüber hinaus ist die Krise in der Ukraine noch lange nicht beigelegt: Das Minsker Waffenstillstandsabkommen wird nicht respektiert, und der bewaffnete Konflikt kann jederzeit eskalieren. Auch scheint es wahrscheinlich, dass Russland direkt in die Innenpolitik der westlichen Demokratien eingegriffen hat, etwa, indem es heimlich sensible Dokumente öffentlich gemacht hat oder indem es rechtsgerichtete Populisten finanziert hat, die den Kreml unterstützen würden – von Marine Le Pen bis Donald Trump.

Dann ist da Russlands Rolle in Syrien. Die Tinte des von den USA ausgehandelten Waffenstillstandsabkommens war kaum trocken, als Russland gemeinsam mit dem verbündeten Regime von Präsident Bashar al-Assad eine massive Bombardierungskampagne einleitete, die Aleppo verheerte. Als die USA ihrem Ärger hierüber Ausdruck verliehen, schoss Russland zurück, die Amerikaner seien scheinheilig – schließlich würden sie nicht gegen die saudi-arabische Bombardierung der jemenitischen Hauptstadt Sana’a protestieren, die von durch den Iran unterstützten Huthi kontrolliert wird. (Um eine makabre Rechnung aufzumachen: Der Unterschied ist, dass in Syrien hundertausende gestorben sind, im Jemen dagegen ein paar tausend.)

Es scheint klar, dass der Westen Russland gewisse Grenzen setzen muss. Aber wie? Dies ist eine Frage, die tiefe, entlang geografischer, historischer, politischer und wirtschaftlicher Grenzen verlaufende Gräben zwischen den europäischen Ländern aufwirft. Selbst innerhalb einzelner Länder sorgt sie für erhebliche Spannungen.

In Deutschland, das sich auf die Bundestagswahl im nächsten Jahr vorbereitet, scheint die SPD auf eine Entspannungspolitik zu setzen, während Bundeskanzlerin Angela Merkel und die CDU eine härtere Linie fahren. Für die SPD – die nostalgisch an die frühen 1970er Jahre zurückzudenken scheint, als die Partei vom charismatischen Willy Brandt geführt wurde – könnte sich diese Abgrenzung lohnen; Meinungsumfragen zeigen, dass die Deutschen in der Russlandfrage der SPD sehr viel näherstehen als der Position Merkels.

In Frankreich unterstützen sowohl Le Pens rechtsextremer Front National als auch die von Jean-Luc Mélenchon geführte extreme Linke Russland. Näher an der politischen Mitte freilich gibt es erhebliche Unterschiede. Auf der Rechten besteht eine Diskrepanz zwischen der gemäßigten, aber festen Linie von Alain Juppé (dem deutlichen Favoriten für die Präsidentschaftswahlen im nächsten Jahr) und dem von Nicolas Sarkozy und François Fillon befürworteten „Verständnis“, die klar über bloße Nuancen hinausgeht. Auf der Linken ist die Haltung von Präsident François Hollande gegenüber Russland – inhaltlich klar, doch vom Ansatz her manchmal nicht ganz schlüssig – deutlich weniger positiv als etwa die des früheren Verteidigungsministers Jean-Pierre Chevènement.

All diese Uneinigkeiten wecken Zweifel über die Fähigkeit des Westens, eine „langfristige, geduldige, aber konsequente“ Strategie festzulegen, um dem gefhrlichen Verhalten des russischen Präsidenten Wladimir Putin Grenzen zu setzen. Tatsächlich scheint Putin selbst überzeugt, dass der Westen hierzu nicht in der Lage ist. Aus seiner Sicht ist der Westen viel zu schwach, uneinig und von nationalen Wahlterminen besessen, um mehr als harsche Worte und ineffektive Maßnahmen zu bieten.

Manche im Westen argumentieren, der Schlüssel im Umgang mit Putin bestehe darin, aus Russlands wirtschaftlicher Schwäche Kapital zu schlagen, ganz so, wie Putin aus der politischen Schwäche des Westens Kapital schlägt. Das klingt vernünftig, insbesondere im Vergleich zu dem diplomatischeren Ansatz, im Austausch etwa gegen eine Kooperation in Syrien die Wirtschaftssanktionen zu lockern. Auf Russlands Auslöschung Aleppos mit Zuckerbrot zu reagieren, würde darauf hinauslaufen, einer zynischen, kriminellen Politik noch Tribut zu zollen.

Doch die Option Peitsche – die Verstärkung des Sanktionsregimes gegenüber Russland – wird möglicherweise auch nicht funktionieren. Auf die Reichen und Mächtigen in Russland haben die Sanktionen kaum Auswirkungen. Es sind die russischen Normalbürger, die leiden – und der Kreml hat bereits deutlich zu verstehen gegeben, dass es ihm egal ist, was mit diesen passiert. So oder so sind Europa und die USA meilenweit von einem Konsens über eine Verschärfung der Sanktionen entfernt.

Falls der Westen Russlands gefährliches Drängen ins Unbekannte stoppen will, muss er etwas finden, auf das man sich einigen kann. Er sollte zumindest beginnen, auf die gerissene, hochprofessionelle Desinformationsstrategie des Kremls mit mehr Klarheit und Offenheit zu reagieren. Eine derartige Politik wäre relativ unkontrovers, zumindest im Vergleich zu konkreteren außenpolitischen Schritten.

Wenn er Erfolg haben will, muss der Westen sich die Vorteile bewusst machen, die Russland schon jetzt hat – nämlich Putins Verständnis der westlichen Psyche und politischen Gemengelage. Auf der internationalen Bühne zapft Putin die antiamerikanische Stimmung an, die besteht, ganz gleich ob die USA stark oder schwach sind. Innerhalb der einzelnen Länder ermutigt er eliten- und globalisierungsfeindliche Bewegungen.

Gegen Ende der Sowjetära nahm sich die russische Führung wie die Nachhut einer verlorenen ideologischen Sache aus. Heute dagegen kann man sie als Avantgarde einer Bewegung in Richtung Isolationismus, Hurrapatriotismus und sogar Hypernationalismus verstehen. Und eben weil die westlichen Länder von dieser Bewegung noch nicht erfasst sind, ist es so wichtig, dass ihre Führungen aufstehen und kohärente Strategien für ein Containment Russlands vorschlagen.

Aus dem Englischen von Jan Doolan


Pays : 
- Russie   

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