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Date :  2016-08-03
langue :  Allemand
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Israel: Falken in der Regierung, Tauben beim Militär


Die Führungsmitglieder des israelischen Verteidigungsapparates gelangen meist irgendwann zu der Überzeugung, dass ein Friedensschluss mit den Palästinensern eine notwendige Voraussetzung für die Sicherheit ihres Landes ist. Der Auftrag, die von Israel seit dem Sechs-Tage-Krieg von 1967 besetzten Gebiete zu verwalten, führt offensichtlich dazu, dass die Führungszirkel von Militär und Sicherheitsorganen politische Maßnahmen unterstützen, die die Besetzung beenden würden. Und doch zeigt die Regierung keinerlei Interesse daran, einen dauerhaften Friedensschluss zu verfolgen.

Lassen Sie uns etwa den verstorbenen Meir Dagan betrachten, der als Generalmajor der israelischen Streitkräfte und später als Direktor des israelischen Auslandsgeheimdienstes Mossad diente, um uns diese Kluft zu verdeutlichen. Vor einer Reihe von Jahren nahm ich an einer Podiumsdiskussion im Rahmen einer vom damaligen israelischen Staatspräsidenten Shimon Peres einberufenen Konferenz in Jerusalem teil. Zu meiner Rechten saß Dagan, dessen achtjährige Amtszeit als Chef des Mossad gerade abgelaufen war; zu meiner Linken saß Dore Gold, ein ehemaliger Wissenschaftler und früherer israelischer Botschafter.

Die beiden Männer vertraten sehr unterschiedliche Ansichten darüber, wie sich die Sicherheit Israels am besten gewährlassen ließe, und es lohnt sich, ihre jeweiligen Argumente hier noch einmal zusammenzufassen.

Gold argumentierte, dass die Rückkehr zu den Grenzlinien aus der Zeit vor dem Waffenstillstand von 1967 Israel „verteidigungsfähiger Grenzen“ berauben würde. Er beharrte darauf, dass sich Israel gegen Bedrohungen aus dem Osten nur schützen könne, wenn es seine Militärpräsenz im Westjordanland beibehielte und den Jordan kontrollierte, der entlang der Grenze verläuft, die Jordanien von Israel und dem Westjordanland trennt.

Dagan entgegnete, dass die Rolle des Militärs darin bestünde, Israels Grenzen zu schützen, unabhängig davon, wo diese verliefen. Während die Streitkräfte es sicherlich vorziehen würden, mit den strategischen Vorteilen im Rücken zu operieren, die die Kontrolle über ein größeres Gebiet mit sich bringen kann, würden sie ihre Mission unter allen ihr von der israelischen Regierung vorgegebenen Rahmenbedingungen erfüllen.

Dagan ging jedoch noch weiter und beschrieb den Grundsatz „verteidigungsfähiger Grenzen“ als Ablenkungsmanöver, das die Absichten und Fähigkeiten der Partei auf der anderen Seite der Grenze ignoriere. Durch einen israelisch-palästinensischen Friedensvertrag würde die von der Verteidigung der Grenze ausgehende Belastung enorm verringert, weil Israel dann einen echten Partner auf der anderen Seite der Grenze hätte, der ebenfalls daran interessiert sei, einen bewaffneten Konflikt zu vermeiden. Palästinensische Sicherheitskräfte würden per se auch einen wesentlichen Beitrag zur Sicherheit Israels leisten.

Dagans taubenhafte Position hat eine lange Tradition innerhalb des israelischen Verteidigungsapparats. Peace Now, eine NGO, die Israelis vertritt, welche eine politische Lösung des israelisch-palästinensischen Konflikts unterstützen, wurde 1978 gegründet, als 348 israelische Militärreservisten in einem offenen Brief den damaligen Ministerpräsidenten Menachem Begin drängten, den Friedensprozess mit Ägypten zum Abschluss zu bringen.

In ähnlicher Weise führte der Verteidigungsapparat die Friedensbemühungen im Gefolge der ersten Intifada (dem von 1987 bis 1993 dauernden Palästinenseraufstand) an. Im Jahr 1991 sprach sich Jitzchak Rabin – ein ehemaliger Stabschef der Streitkräfte, Ministerpräsident und Verteidigungsminister Israels und damals Mitglied im Auswärtigen Ausschuss und im Verteidigungsausschuss der Knesset (des israelischen Parlaments) – für umfassende regionale Friedensbemühungen aus. Wie Dagan betrachtete Rabin den arabisch-israelischen Konflikt als Belastung für Israels Sicherheit, und viele aktive und pensionierte Offiziere haben seitdem Verhandlungen mit den Palästinensern und mit Syrien geleitet oder daran teilgenommen.

Zuletzt haben viele prominente ehemalige Vertreter aus dem Verteidigungsbereich die zwischen dem Iran und der sogenannten P5+1-Gruppe (den fünf ständigen Mitgliedern des Sicherheitsrates China, Frankreich, Russland, Großbritannien und USA sowie Deutschland) erreichte Einigung über das iranische Atomprogramm – ein Übereinkommen, dem sich die israelische Regierung erbittert widersetzt hatte – unterstützt. Tatsächlich scheint die Kluft zwischen dem Sicherheitsapparat und den in Israel derzeit regierenden Politikern breiter denn je. Die meisten ehemaligen leitenden Vertreter des Sicherheitsapparates folgen der Argumentation Dagans, während Regierungsvertreter eher wie Gold klingen.

Es gibt inzwischen eine Reihe von Organisationen, die sich für den Frieden einsetzen. Die Peace and Security Association, der hunderte von ehemaligen Angehörigen der Streitkräfte, des Mossad, des israelischen Inlandsgeheimdienstes Shin Bet und der Polizei angehören, nennt als ihre Mission „die Förderung einer nachhaltigen politischen Lösung des israelisch-palästinensischen Konflikt als wichtigem Bestandteil der nationalen Sicherheit und gesellschaftlichen Belastbarkeit Israels.“

Die NGO Commanders for Israel’s Security (CIS), der mehr als 200 Mitglieder der israelischen Sicherheitselite angehören, hat gerade unter dem Titel „Security First“ (Sicherheit zuerst) eine umfassende Reihe von Vorschlägen zur Wiederbelebung der Bemühungen um eine friedliche gemeinsame Nutzung des Landes westlich des Jordans veröffentlicht. CIS vertritt die Ansicht, dass der gegen Israel gerichtete Terror durch militärische Mittel allein nicht zu besiegen sei und dass jeder Friedensprozess die Lebensqualität der Palästinenser verbessern müsse. Führende ehemalige Vertreter der Sicherheitsbehörden haben zudem aktiv an einer vom Center for a New American Strategy durchgeführten Studie mitgewirkt, deren Ergebnis ein detaillierter Sicherheitsplan für eine israelisch-palästinensische Übereinkunft ist.

Einige frühere Behördenvertreter sind sogar noch weiter gegangen: Der ehemalige Mossad-Direktor Efraim Halevy argumentiert, dass Israel „die poltische Realität der Hamas“ akzeptieren und in einen Dialog mit der den Gazastreifen regierenden Organisation eintreten sollte. In ähnlicher Weise haben sich in dem 2012 entstandenen Dokumentarfilm The Gatekeepers sechs ehemalige Leiter des Shin Bet zu den Lehren der vergangenen Jahrzehnte geäußert und für einen Friedensschluss mit den Palästinensern plädiert.

Bemerkenswerterweise hat Israels politische Führung bisher von den Wählern keine Quittung dafür bekommen, dass sie die Ansichten des Verteidigungsapparats ignoriert. Es gab keine öffentliche Reaktion, als nach dem Erscheinen von The Gatekeepers das Büro von Ministerpräsident Benjamin Netanjahu erklärte, dass Netanjahu den Dokumentarfilm nicht kenne und auch nicht die Absicht habe, ihn sich anzusehen.

Angesichts der hohen Meinung, die die Öffentlichkeit vom israelischen Verteidigungsapparat hat – insbesondere im Vergleich mit der Regierung –, ist die Gleichgültigkeit der Wähler schwer verständlich. In einer 2015 vom nationalen israelischen Statistikamt durchgeführten Umfrage sprachen 93% der befragten israelischen Juden der Armee ihr Vertrauen aus, aber nur 40% der Regierung und nur 22% den politischen Parteien des Landes.

Eine Antwort ist, dass die israelische Öffentlichkeit nach so vielen gescheiterten Bemühungen desillusioniert ist in Bezug auf den Friedensprozess. Zudem haben sich die von den besetzten Gebieten ausgehenden Akte der Aufstachelung zur Gewalt und des Terrorismus intensiviert. Dies erlaubt es der aktuellen Regierungskoalition, politische Strategien wie die Ausweitung der Siedlungen im Westjordanland, die den Konflikt weiter vertiefen, zu rechtfertigen.

Netanjahu hat sich vor diesem Hintergrund als Beschützer Israels dargestellt und die dem Verteidigungsapparat entgegengebrachte Wertschätzung für sich in Anspruch genommen. Die Befürworter einer Erneuerung des Friedensprozesses werden ihre Argumente nun in die Öffentlichkeit tragen und sich diesen Titel zurückholen müssen. Ob sie dies im Zusammenhang der regionalen Turbulenzen und der Unsicherheit im Lande schaffen können, bleibt, vorsichtig gesagt, unsicher.

Aus dem Englischen von Jan Doolan


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