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Date :  2016-03-30
langue :  Allemand
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Europa gegen den Islamischen Staat


Nach den Terrorabschlägen in Paris am 13. November, bei denen 130 Menschen ums Leben kamen, schrieb ich einen Artikel mit dem Titel „Wir sind im Krieg“ – und wurde danach von europäischen und außereuropäischen Lesern heftig kritisiert. Wie ich es wagen könne, das Wort „Krieg“ zu verwenden, um die Anschläge zu beschreiben! Worte seien Waffen, und sie falsch zu gebrauchen sei unverantwortlich, sogar gefährlich. Ob ich den von George W. Bushs Hurrapatriotismus nichts gelernt hätte?

Tatsächlich wusste ich genau, was ich tat, als ich dieses Wort wählte. Und letzte Woche verwendete nach dem Terroranschlag in Brüssel auf den Flughafen und eine Metrostation das Einsatzpersonal dasselbe Wort und sprach von der Versorgung von „Kriegsverletzungen“. Daher sage ich es noch einmal: Wir sind im Krieg.

Natürlich ist dies kein herkömmlicher Krieg. Es gab keine offizielle Erklärung der Feindseligkeiten, doch die Anschläge auf Paris und Brüssel waren Kriegshandlungen – vorsätzliche, brutale Manöver geplant von einer Gruppe Leute, die ein großes Gebiet beherrschen.

Diese Handlungen richteten sich nicht nur gegen die Menschen in Europa, sondern auch gegen seine Grundwerte, und sie sind Teil eines umfassenderen Aggressionsmusters, das sich nicht einfach in Luft auflösen wird. Auch wenn das Gebiet des Islamischen Staates in Syrien und im Irak schrumpfen mag, weitet es sich in Libyen aus. Und wer weiß, welche Länder der IS morgen vereinnahmen wird? Teile Algerien etwa könnten anfällig sein.

Es ist Zeit, dass die Europäische Union diese Realität anerkennt – sie befindet sich im Krieg, ob es ihr gefällt oder nicht – und entsprechend reagiert. Falls es seit dem Ende des Zweiten Weltkriegs je einen Moment gab, an dem Europa die Verantwortung für seine Sicherheit übernehmen musste, dann jetzt. Dies bedeutet sowohl den Umgang mit der Bedrohung zu Hause als auch die Übernahme einer Führungsrolle im Kampf gegen den IS, nicht nur aufgrund Europas geografischer Nähe, sondern auch wegen der früheren Beiträge, die einige seiner Mitgliedsstaaten – wie Frankreich, Italien und Großbritannien – zur Destabilisierung der Region geleistet haben.

Bei diesem Unterfangen ist es wichtig, die Terroristen nicht mit den nach Europa strömenden Flüchtlingen in einen Topf zu werfen. Die Flüchtlinge, die überwiegend durch die Handlungen des IS und anderer gewalttätiger Akteure aus ihrer Heimat vertrieben werden, stellen für Europa eine wichtige Chance dar. Wir dürfen nicht zulassen, dass die Woge die europäischen Werte verachtender europäischer Populisten dazu führt, dass wir diese Gelegenheit durch Bigotterie und die Verbreitung von Ängsten verpassen.

Natürlich ist der Terrorismus nicht die einzige Sicherheitsbedrohung, vor der die EU derzeit steht. Und da sich die USA derzeit auf Asien und den Mittleren Osten konzentrieren (vom eigenen Land gar nicht zu reden), ist es nun an den europäischen Regierungen, das Problem anzugehen und den russischen Ambitionen im Osten Europas Grenzen zu setzen.

Zu einer Zeit, wo die EU – die, hätte sie die Wahl, eher dazu neigen würde, ihre Aufmerksamkeit nach innen zu richten – derart erschreckende externe Herausforderungen in Angriff nehmen muss, ist das Letzte, was die braucht, eine destabilisierende interne Herausforderung. Doch genau davor steht sie dank des verantwortungslosen Versuches des britischen Premierministers David Cameron, die fanatischen Europafeinde in seiner Konservativen Partei durch ein Referendum über die EU-Mitgliedschaft Großbritanniens zu beschwichtigen. Wenn Ihr gemeinsames Haus Gefahr läuft, abzubrennen, arbeiten Sie mit den übrigen Hausbewohnern zusammen, um das Feuer zu löschen; Sie lamentieren nicht, wer den Schlauch tragen soll.

Die Diskrepanz zwischen dem, was Europa braucht, und dem, was es zu tun bereit ist, spiegelt die Kluft zwischen Vernunft und Gefühl wider. Rationell betrachtet ist die Notwendigkeit einer stärkeren europäischen Zusammenarbeit im Bereich der Sicherheit und Verteidigung, wie der Ministerpräsident Matteo Renzi angemerkt hat, offensichtlich. Emotional jedoch scheint das Gegenteil der Fall zu sein; das Versagen der EU dabei, eine gemeinsame Flüchtlingspolitik zu formulieren, verdeutlicht das.

Wie Renzi heute stand Bundeskanzlerin Angela Merkel allein mit ihrem Plädoyer für eine menschliche Antwort auf die Flüchtlingskrise. Den meisten Europäern schien die Situation überwältigend; daher schreckten sie vor der Verantwortung zurück. „Die Flüchtlinge sind Ihr Problem“, erklärte etwa der lettische Präsident Raimonds Véjonis Merkel auf einer Sitzung des Europäischen Rates im vergangenen Jahr. Der Terrorismus mit seinen unvorhersehbaren Taktiken und nebulösen Grenzen ruft eine ähnliche Reaktion hervor.

Die Herausforderung ist tatsächlich derart überwältigend, dass die EU-Länder es nicht einmal geschafft haben, Informationen in effektiver Weise zu teilen. Ein ähnliches Problem stellte sich nach den Terroranschlägen vom 11. September 2001 in den USA, die damals selbst ihren engsten Verbündeten, Kanada und Großbritannien, Informationen vorenthielten. Ich habe die hierdurch verursachte Frustration im Januar 2002 auf dem Weltwirtschaftsforum, wo ich Co-Vorsitzender einer privaten Sitzung westlicher Sicherheitschefs war, aus erster Hand erlebt.

Heute stehen an der Spitze der selbst festgelegten europäischen Hackordnung die französischen und britischen Geheim- und Sicherheitsdienste, und dann kommt irgendwann der Rest. Belgien, das angesichts seiner schwachen staatlichen Strukturen und komplexen sprachlichen und kulturellen Identitäten in diesem Bereich wenig angesehen ist, erhält die von den Franzosen und Briten gesammelten Informationen nicht. Doch dies ist nicht die Zeit für Arroganz, und schon gar nicht für Furcht und Heimlichtuerei.

Wenn die Terroristen Europa ins Visier nehmen, dann deshalb, weil sie glauben, dass Europa innerhalb des Westens das schwächste Glied ist. Um seiner selbst willen muss Europa ihnen das Gegenteil beweisen. Und die einzige Methode, dies zu tun, besteht darin, zu verhindern, dass das emotionale Bedürfnis, sich hinter nationalistischen Forderungen zu verstecken, die rationelle Erkenntnis überwältigt, dass der einzige Weg zu mehr Sicherheit in gemeinsamem Handeln besteht.


Continents : 
- Europe   

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