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Date :  2016-03-07
langue :  Allemand
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Die neuen Interventionisten


Die Folgen der russischen Intervention in Syrien reichen weit über den Mittleren Osten hinaus. Die Militärkampagne des Kremls hat das bisherige Patt zugunsten der Regierung gewendet und einen Strich durch die Bemühungen um einen politischen Kompromiss zur Beendigung des Krieges gemacht. Sie läutet zugleich den Beginn einer neuen Ära in der Geopolitik ein, in der umfassende Militärinterventionen nicht durch westliche Koalitionen durchgeführt werden, sondern durch Länder, die häufig unter Verstoß gegen das Völkerrecht ihre eigenen engen Interessen verfolgen.

Seit dem Ende des Kalten Krieges standen sich in der Debatte über internationale Militäreinsätze mächtige, interventionistische westliche Mächte und schwächere Länder wie Russland und China gegenüber, wobei die Regierungen letzterer argumentierten, dass die nationale Souveränität heilig und unverletzlich sei. Die derzeitige Entwicklung in Syrien ist ein weiterer Beleg, dass sich Lage ins Gegenteil verkehrt. Während im Westen die Interventionsbereitschaft – insbesondere was den Einsatz von Bodentruppen angeht – abnimmt, mischen sich Länder wie Russland, China, der Iran und Saudi-Arabien zunehmend in die Angelegenheiten ihrer Nachbarn ein.

In den 1990er Jahren entwickelten die westlichen Länder nach den Völkermorden in Ruanda und auf dem Balkan die Doktrin der sogenannten humanitären Intervention. danach machte eine „Schutzverantwortung“ Länder verantwortlich für das Wohl ihrer Bevölkerungen und verpflichtete die internationale Gemeinschaft zum Eingreifen, wenn Regierungen Zivilisten nicht vor Massengräueltaten schützten oder sie selbst bedrohten. Die Doktrin stellte das traditionelle Konzept nationaler Souveränität auf den Kopf und wurde in Ländern wie Russland und China schnell als kaum mehr als ein Feigenblatt für einen vom Westen unterstützten Regimewechsel betrachtet.

Es ist daher gelinde gesagt ironisch, dass Russland ein der Schutzverantwortung ähnliches Konzept nutzt, um seine Intervention zu rechtfertigen – nur dass es in diesem Fall die Regierung vor ihren Bürgern schützt statt umgekehrt. Russlands Bemühungen sind faktisch ein Argument für eine Rückkehr zur Ära absoluter Souveränität, in der allein die Regierungen für das verantwortlich sind, was sich innerhalb der Grenzen ihrer Länder abspielt.

Russlands Haltung spiegelt zugleich seine Bevorzugung von Stabilität gegenüber Gerechtigkeit und seine Akzeptanz der Legitimität autoritärer Herrschaft wider. Mit der wachsenden Zahl „farbiger Revolutionen“ in Ländern wie Georgien, der Ukraine und Kirgisistan wuchs in Russland und China zunehmend die Nervosität vor öffentlichen Aufstandsbewegungen. Die Drohung einer westlichen Intervention verstärkt aus ihrer Sicht nur das Instabilitätspotenzial. Tatsächlich haben die Chinesen ihren eigenen, sperrigen außenpolitischen Fachbegriff für diese Haltung geprägt: fanxifang xin ganshe zhuyi (sinngemäß übersetzt mit: „Gegenhalten gegen den westlichen Neo-Interventionismus“).

Nur hat Russlands Respekt für die Souveränität bemerkenswerte Grenzen. Auf der Krim in 2014 machte sich der Kreml eine deutlich andere Doktrin zu Eigen und rechtfertigte seine Handlungen in der Ukraine damit, dass er die Rechte ethnischer Russen verteidige. Dies markiert eine Rückkehr zur sprachlich, religiös und konfessionell begründeten Solidarität der Zeit vor dem Westfälischen Frieden – von der Art, wie sie das zaristische Russland praktizierte, als es sich als Beschützer aller Slaven betrachtete.

Es überrascht nicht, dass diese Begründung für Interventionen mit großer Geschwindigkeit Anhänger in anderen Teilen der Welt findet. Im Mittleren Osten hat Saudi-Arabien ein paralleles Argument für seine Unterstützung der sunnitischen Kräfte im Jemen und in Syrien gefunden, genau wie der Iran, der seine schiitischen Verbündeten in beiden Ländern unterstützt. Selbst China wird zunehmend gedrängt, Verantwortung für seine Bürger und Unternehmen im Ausland zu übernehmen. Zu Beginn des libyschen Bürgerkrieges evakuierte China mit Flugzeugen tausende seiner Bürger aus dem Land.

All dies geschieht zu einer Zeit, in der die militärische Dominanz des Westens schwindet. Verbesserungen beim russischen und chinesischen Militär und der zunehmende Einsatz asymmetrischer Strategien durch staatliche und nichtstaatliche Akteure nivellieren das Schlachtfeld. Tatsächlich verwischt die Verbreitung staatlich unterstützter nichtstaatlicher Akteure an Orten wie Libyen, Syrien, der Krim und dem Donezbecken die Unterscheidung zwischen staatlicher und nichtstaatlicher Gewalt zunehmend.

Nach dem Kalten Krieg setzte der Westen eine internationale Ordnung durch, die die Geopolitik weltweit bestimmte. Als diese Ordnung bedroht war, fühlten sich die westlichen Regierungen befugt, in die Angelegenheiten jener „Schurkenstaaten“ einzugreifen, die jeweils das Problem verursachten. Nun jedoch wird diese Ordnung an mehreren Fronten gleichzeitig in Frage gestellt – global durch Russland und China und auf regionaler Ebene durch zunehmend selbstbewusste Akteure im Mittleren Osten, in Lateinamerika und sogar in Europa.

Nun, da eine neue Ordnung Gestalt gewinnt, dürften sich die Rollen, die die unterschiedlichen Länder während der letzten 25 Jahre gespielt haben, umkehren. Im Westen dürfte das Konzept der Souveränität und des begrenzten Einsatzes von Macht ein Comeback feiern, während nationale Regierungen, die traditionell nach Zurückhaltung gerufen haben, beim Einsatz ihrer Truppen zunehmend kühner werden.

Aus dem Englischen von Jan Doolan


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