Ref. :  000039155
Date :  2016-02-01
langue :  Allemand
Page d'accueil / Ensemble du site
fr / es / de / po / en

Willkommen im 21. Jahrhundert


Der Jahresbeginn 2016 hat es wirklich in sich: ein Börsenbeben in China, das die Börsen weltweit destabilisiert, das Platzen der Träume (oder besser „Blase“) der BRIC Staaten, der dramatische Verfall des Ölpreises, der viele Ölförderländer rund um den Globus in eine tiefe Krise treiben wird, mit absehbaren politisch destabilisierenden Folgen vor allem im Nahen und Mittleren Osten, aber auch in Afrika, Südasien und Lateinamerika, ein erneuter Atom- oder Wasserstoffbombenversuch in Nordkorea, und schließlich die sich immer weiter zuspitzende innere Destabilisierung Europas durch einen neuen Nationalismus in der anhaltenden Flüchtlingskrise, die beide den Zusammenhalt des historischen Projekts der Europäischen Union akut gefährden. Hinzu gesellt sich noch die anhaltende Krise in der Ukraine, ein Ergebnis des russischen Neoimperialismus unter Putin, und die Bedrohung durch den islamistischen Terrorismus.

Zu guter Letzt fehlen jetzt nur noch merkwürdige, unheilverkündende Naturerscheinungen wie Kometen am Himmel um das Jahr 2016 zu einem Jahr der großen Unheilserwartungen zu machen.

Denn wohin man auch blickt, zu Beginn des neuen Jahres scheinen die Kräfte des Chaos gegenüber der überkommenen Ordnung der Welt und auch einzelner Regionen überhand zu nehmen. Ein globaler Ordnungsverlust in Politik und Wirtschaft ist angesichts der Ereignisse und Fakten nicht von der Hand zu weisen, ohne dass aber auch nur in Ansätzen die Konturen einer neuen Ordnung sichtbar wäre, welche die aus zwei Weltkriegen, dem Kalten Krieg und der Dekolonialisierung hervorgegangene alte globale Ordnung ablösen könnte.

Das 20. Jahrhundert scheint sich dieser Tage endgültig zu verabschieden und das 21. Jahrhundert hat endgültig übernommen, ohne dass auch nur in Ansätzen klar wäre, was auf die Welt zukommt.

Gewiss, „Globalisierung,“ „Digitalisierung“ und „Klimawandel“ sind die treffenden Schlagworte des aktuellen Befundes der ganz großen Herausforderungen des frühen 21. Jahrhunderts, aber innerhalb welcher machtpolitischer Strukturen, welcher globalen Ordnung und auch regionalen Ordnungen (etwa in Ostasien, Europa, im Nahen Osten und in Afrika) diese neuen Fragen verhandelt und im Konfliktfalle auch ausgefochten werden, bleibt weitgehend im Dunkeln. Gegenwart und Zukunft verheißen hier das Gegenteil von Ordnung, nämlich Chaos.

Politische und wirtschaftliche Ordnungen, erst recht eine globale Ordnung, entstehen nicht einfach aus einem voluntaristischen Akt des mächtigsten Staates oder Volkswirtschaft heraus, sondern waren und sind immer das Ergebnis eines bisweilen sehr blutigen und brutalen Ausscheidungskampfes zwischen rivalisierenden Mächten. In dieser Auseinandersetzung bilden sich in der Regel die tragenden Säulen, Institutionen und Akteure einer neuen Ordnung heraus, die dann mit der Entscheidung der Auseinandersetzung um die Vorherrschaft durch den jeweiligen Sieger durchgesetzt werden.

Die alte, die liberale Ordnung des Westens gründete seit 1945 auf der globalen Hegemonie der USA, der einzigen tatsächlichen Weltmacht, die nicht nur über die Dominanz in der harten Machtwährung (Wirtschaft, Finanzen und Militär) verfügte, sondern zudem auch in nahezu allen Sektoren der „weichen“ Machtwährung (Kultur, Sprache, Massenmedien, Technologie, Mode etc.).

Die Welt, wie wir sie heute kennen, gründete auf der globalen „Pax Americana“, die heutzutage ganz offensichtlich im Niedergang begriffen ist. An ihren Rändern, im Nahen und Mittleren Osten und auf der koreanischen Halbinsel, beginnt sie zu zerfasern. Denn die USA können und wollen die Rolle des Weltpolizisten, der diese Ordnung garantiert, nicht mehr spielen und den dafür notwendigen Einsatz nicht mehr leisten, auch wenn sie im 21. Jahrhundert die mit weitem Abstand stärkste und daher dominante globale Macht bleiben werden.

Die Kosten und der Aufwand zur Aufrechterhaltung einer globalen Ordnung werden selbst diese einzige globale Macht überfordern, denn eine globalisierte Welt, die zudem kommunikativ, technisch und auch real immer enger zusammenrücken wird (die Ankunft der nahöstlichen Flüchtlinge in Europa hat dies gezeigt!) mit ihren verschiedenen regionalen und globalen Machtzentren, entzieht sich einem solchen Ordnungsansatz.

Fast alles spricht dafür, dass im 21. Jahrhundert, im Zeitalter der Globalisierung mit über 7 Mrd. Menschen, eine neue globale Ordnung entstehen wird, aber deren machtpolitische Grundlagen sind bisher nicht abzusehen.

Was folgt aus alledem? Eine chinesische Ordnung? Ich glaube das nicht. Denn China wird noch sehr lange mit sich selbst, seiner inneren Stabilität und Entwicklung und mit seinen engen regionalen Ambitionen im ost- und südchinesischen Meer und mit der koreanischen Halbinsel beschäftigt sein. Zudem mangelt es ihm an nahezu allen „weichen“ Faktoren, die für eine globale Ordnungsmacht unverzichtbar sind. Und jenseits von China gibt es innerhalb der uns überschaubaren Zeit keine anderen Mächte, die für eine solche Rolle ernsthaft in Betracht kämen.

Also eine, nach Jahren eines chaotischen Übergangs, erneuerte, zweite Pax Americana, gründend auf der informationstechnologischen Überlegenheit der USA? Auch diese Option scheint wenig realistisch, da die Widerstände dagegen durch die unterschiedlichen regionalen Machtzentren und mögliche Gegenallianzen doch sehr groß sein dürften.
In der Mechanik politischer und wirtschaftlicher Ordnungssysteme ist ein freiwilliger Rücktritt eines Hegemons oder gar der Rückzug aufs Altenteil nicht vorgesehen. Niederlage in einem Ausscheidungswettkampf ja, aber kein freiwilliger Rückzug! Denn ein solcher Schritt würde sofort ein Vakuum und damit einhergehend Chaos produzieren und so die Stabilität des gesamten Systems gefährden. Um exakt diese Frage wird es für den nächsten Präsidenten der Vereinigten Staaten gehen, wer immer es auch sein wird.

Für die Staaten des alten Westens aber, vor allem in Europa, wirft der Niedergang der Pax Americana noch eine ganz andere Frage auf. War die innere liberale Ordnung Westeuropas nach 1945 und für ganz Europa nach 1989 ein Ergebnis dieser Pax Americana, und wird sie mit deren Niedergang ebenfalls in eine sehr ernste Krise geraten? Der Aufstieg des Neonationalismus fast überall in Europa scheint für diese These zu sprechen und für Europa verhieße diese Entwicklung eine schreckliche Perspektive.

Wenn Angela Merkel an ihrer Flüchtlingspolitik scheitern würde und Großbritannien sich für den Brexit entschiede und dann Marine Le Pen im Jahr darauf bei den französischen Präsidentschaftswahlen gewönne, dann wäre der Sturz in den Abgrund wohl nicht mehr aufzuhalten. So muss es nicht kommen, gleichwohl ist diese rabenschwarze Option eines europäischen Suizids durchaus realistisch. Das sollten all jene bedenken, die heute so munter am Stuhl von Bundeskanzlerin Merkel herumsägen.


Notez ce document
 
 
 
RECHERCHE
Mots-clés   go
dans