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Date :  2015-12-31
langue :  Allemand
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Eine Antwort auf die politische Polarisierung Europas


In Europa begann das Jahr 2015 mit dem Wahlsieg der linken Syriza-Partei in Griechenland. Es endete mit weiteren drei Wahlen, die Ausdruck der zunehmenden politischen Polarisierung sind. In Portugal hat die Sozialistische Partei mit ihrem ehemaligen Erzfeind, den Kommunisten, eine Allianz gebildet. In Polen gewann die nationalistische Partei für Recht und Ordnung (PiS) genug Unterstützung, um allein regieren zu können. Und in Spanien wurde die traditionelle Hegemonie der gemäßigten linken Sozialistischen Arbeiterpartei und der gemäßigten rechten Partido Popular durch den Aufstieg von Podemos beendet, einer weiteren linken Partei. (Darüber hinaus zeigte in Frankreich die rechtsextreme Nationale Front unter der Leitung von Marine Le Pen in der ersten Runde der Regionalwahlen im Dezember ihre Stärke, auch wenn sie letztlich keine dieser Wahlen für sich entscheiden konnte).

Die Botschaft ist unmöglich zu überhören: Die Unzufriedenheit der Wähler mit den großen Volksparteien wird immer größer, und sie sind bereit, radikalen Alternativen eine Chance zu geben. Sie geben Parteien ihre Unterstützung, die zwar sehr unterschiedlich sind, aber alle gemeinsam haben, dass sie die Schuld für den beklagenswerten Zustand der Wirtschaft und des Arbeitsmarktes der Europäischen Union geben.

Sicherlich ist die Radikalisierung heute nicht nur auf Europa beschränkt. Wie ich an anderer Stelle schrieb, verdankt der amerikanische Präsidentschaftskandidat Donald Trump seinen Aufstieg denselben Faktoren, die auch hinter der wachsenden Beliebtheit Le Pens stehen. In der EU ist insbesondere der Konflikt zwischen radikaler Politik und gemäßigter Regierungsweise ein Problem.

Dreißig Jahre lang wurden die meisten EU-Länder von Mitte-Rechts- oder Mitte-Links-Parteien regiert, die eine weitgehend gleiche Vision von Europa teilten. Trotz ihrer politischen Meinungsverschiedenheiten hatten sie einen gemeinsamen ideologischen Konsens und gingen eine politische Koalition ein, die die Grundlage für den Binnenmarkt, den Euro und die erweiterte EU bildete.

Aber heute denken viele Wähler, die gemäßigte Politik sei gescheitert. Die Regierungen haben ihre Unfähigkeit bewiesen, ungelernte und wenig ausgebildete Arbeitnehmer vor den Folgen der Globalisierung und des technologischen Wandels zu schützen. Trotz allgemeiner Ausbildung, progressiver Besteuerung und sozialer Zuwendungen stieg die Ungleichheit. Und der Euro konnte weder Wohlstand noch Stabilität schaffen. Diejenigen (wie ich), die denken, schuld daran sei weniger die europäische Integration selbst, sondern bestimmte politische Fehler und institutionelle Schwächen, werden an den Rand gedrängt.

In Demokratien sind politische Neuausrichtungen nichts Ungewöhnliches. In der Tat sind die demokratischen Institutionen darauf ausgerichtet, diesen Prozess möglich zu machen. Im Allgemeinen verändern sich Verfassungen nicht oder nur langsam, während eine neue Partei oder Koalition die politische Agenda neu definiert und die Gesetzgebung reformiert. Diese Kombination von Rigidität und Plastizität ermöglicht es demokratischen Regimes, sich an veränderte Vorlieben der Bürger anzupassen.

Dies trifft auf Europa allerdings nicht zu. Erstens läuft die politische Veränderung nicht synchron. In einigen Ländern wurden zu einem bestimmten Zeitpunkt vielleicht radikale Parteien gewählt, aber in anderen nicht (oder es gab dort gar keine Wahlen). Dieser Legitimitätskonflikt ist es, den die griechische Regierung in letzten Frühling zunächst nicht verstanden hatte, als sie versuchte, ihre Sparmaßnahmen zu erleichtern: Syriza hatte von den griechischen Wählern den Auftrag zu Veränderungen erhalten, aber die Volksvertreter anderer Länder nicht.

Zweitens erhält die EU im Gegensatz zu nationalen Demokratien ihre Legitimität nicht durch den Prozess, über den politische Entscheidungen getroffen werden, sondern in erster Linie durch die Leistung, die sie erbringt. Dies bedeutet nicht, dass kein demokratischer Prozess vorhanden ist: Das gewählte Europäische Parlament ist eine ernst zu nehmende gesetzgebende Körperschaft, und seine Überprüfung der europäischen Kommissare ist oft gründlicher als die Personalauswahl auf nationaler Ebene. Aber seine Sichtbarkeit ist gering, da die wichtigsten Entscheidungen zwischen den Nationalregierungen ausgehandelt werden.

Drittens ist die Grenze zwischen konstitutionellen und gesetzgebenden Angelegenheiten in der EU ungewöhnlich. Alle Vorschriften für Abkommen haben konstitutionellen Status und können tatsächlich nur durch absolute Mehrheit verändert werden. Darüber hinaus haben die Regierungen aus gegenseitigem Misstrauen darauf bestanden, in Abkommen Elemente einzufügen, die normalerweise der normalen Gesetzgebung unterliegen. Die vielen wirtschaftlichen Regeln in der EU sind daher viel schwieriger anzupassen als ähnliche Bestimmungen auf nationaler Ebene. Mit anderen Worten, der Spielraum zur Neudefinition der Regeln wird immer enger, obwohl sie einen politischen Konsens widerspiegeln, der nicht mehr allgemein geteilt wird.

Welche Möglichkeiten bleiben der EU also, um auf die politische Polarisierung und die gleichzeitigen Forderungen nach größeren politischen Spielräumen auf nationaler Ebene zu reagieren? Natürlich könnte die EU diese Veränderungen einfach ignorieren und hoffen, dass der Radikalismus abnimmt, sobald seine Vertreter mit der Regierungsverantwortung konfrontiert werden. Dies wäre aber töricht. Syriza wurde gezwungen, schwere Entscheidungen zu akzeptieren, weil Griechenland von externer finanzieller Unterstützung abhängig ist. Kein weiteres Land ist in einer solchen Lage. Die Forderungen nach Veränderung zu ignorieren, würde die Feindschaft gegenüber der EU letztlich nur vertiefen.

Eine weitere Möglichkeit wäre, die bestehende Flexibilität der EU-Einigungsvorschriften auf einer Ad-Hoc-Basis auszunutzen. In der Tat kann Pragmatismus hilfreich sein, und die Europäische Kommission unter Jean-Claude Juncker ist dazu bereit. Aber das EU-Rahmenwerk in ein Dickicht länderspezifischer politischer Kuhhändel zu verwandeln, wäre gefährlich. Diejenigen, die (wie Deutschland und andere) das Rechtswesen und die Durchsetzung fundamentaler Prinzipien für ernste Angelegenheiten halten, würden bald Einspruch erheben.

Die letzte Lösung wäre, die EU für politische Veränderungen empfänglicher zu machen. Dazu wäre eine ausdrückliche Änderung der Balance zwischen konstitutionellen und legislativen Angelegenheiten nötig, damit die Prinzipien bestehen bleiben, die Maßnahmen sich aber stärker nach der Politik richten können. Darüber hinaus sollte die EU die Möglichkeit bekommen, in einem größeren Bereich politischer Felder Gesetze zu verabschieden, darunter beispielsweise im Steuerrecht. Dies würde ihre peinliche Machtlosigkeit – und offensichtliche Gleichgültigkeit – gegenüber Ungleichheit beenden.

Gleichzeitig muss das Europäische Parlament wie in einem echten föderalen System einen höheren Stellenwert erhalten, damit Regierungen auf nationaler und europäischer Ebene als gleichermaßen legitim wahrgenommen werden. Bei einer solchen Föderalisierung der EU oder, wahrscheinlicher, der kleineren Eurozone (innerhalb derer das Ausmaß der Integration größer ist), stünden die nationalen Regierungen bei politischen Konflikten keinem undurchsichtigen System mehr gegenüber, sondern einer politisch legitimierten föderalen Institution.

Ein solcher Ansatz steht allerdings vor gewaltigen Hindernissen. Bereits in den frühen 2000er Jahren wurde versucht, eine EU-Verfassung zu verabschieden. Dies ist gescheitert. Deutschland und andere Länder, in denen die gemäßigte Politik immer noch weithin unterstützt wird, würden sich jeder drohenden Aufweichung der gemeinsamen Regeln und Prinzipien vehement entgegen stellen. Zu einer Zeit, in der nicht nur die Radikalen, sondern auch viele andere Europäer die EU als den Hauptschuldigen für ihr aktuelles Leid betrachten, wird es sehr schwer sein, sich auf zusätzliche Kompetenzen und ein stärkeres europäisches Parlament zu einigen. Letztlich ist die Schaffung einer transnationalen Demokratie aber die realistischste Antwort auf die politische Polarisierung Europas.

Aus dem Englischen von Harald Eckhoff



Continents : 
- Europe   

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