Ref. :  000034226
Date :  2011-02-01
langue :  Allemand
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Streitgespräch über WikiLeaks: Pirat gegen Diplomat

Seit 2006 hat die Webseite WikiLeaks über eine Million geheimer diplomatischer Depeschen veröffentlicht. Sie ist dadurch zu einem Symbol von Transparenz geworden, das allerdings auch vielen ein Dorn im Auge ist. Hat WikiLeaks die Demokratie gestärkt und die die Diplomatie verändert? Wir haben zwei Abgeordnete aus verschiedenen politischen Lagern gefragt: den schwedischen Vertreter der Piratenpartei Christian Engström (Grüne/EFA) und den ehem. slowakischen Außenminister Eduard Kukan (EVP).


Herr Engström, die Piratenpartei hat letztes Jahr beschlossen die eigenen Server für WikiLeaks umsonst zur Verfügung zu stellen. Sie sehen WikiLeaks als nicht gefährlich an. Wieso nicht?

> Wir sehen WikiLeaks sehr wohl als sehr gefährliche Webseite an, besonders für korrupte Regime, die etwas zu verstecken haben. Das ist es ja gerade was wir daran mögen. Wir denken, dass Transparenz ein sehr wichtiger Teil einer offenen demokratischen Regierung ist. Es ist wichtig sich daran zu erinnern, dass die Tendenz Dinge zu verheimlichen überall existiert. Selbst demokratisch gewählte Regierungen, wie die Regierung der USA, will Dinge vor der Öffentlichkeit verheimlichen. Dinge, die sehr relevant sind. Also ja, WikiLeaks ist gefährlich für jeden, der Macht hat und etwas verbergen will.

Herr Kukan, der Kommissionspräsident José Manuel Barroso sagt, dass WikiLeaks nicht immer dem öffentlichen Interesse diene. Er ist der Ansicht, dass gewisse Informationen nicht veröffentlicht werden sollten. Wie denken Sie darüber?

> Ich bin für die Freiheit der Information, denn sie ist ein Grundpfeiler moderner demokratischer Systeme. Die Aktivitäten von WikiLeaks hatten allerdings auch Schaden verursacht. Ich denke nicht dass es die Absicht von WikiLeaks war, positive und konstruktive Dinge der Öffentlichkeit zu vermitteln. Ich denke nicht dass die Absicht ehrenwert war.

Ich habe lange Zeit in der Diplomatie verbracht und glaube, dass gewisse Dinge nicht veröffentlicht und jedem zugänglich gemacht werden sollten. Bei gewissen Fragen müssen Sie Vertrauen zwischen Gesprächspartnern aufbauen, man muss sich gegenseitig Glauben schenken. Nicht deshalb, weil die Öffentlichkeit kein Recht darauf hätte informiert zu werden, aber weil gewisse Dinge diskret gehandhabt werden müssen. Wenn Diplomaten über Vereinbarungen verhandeln, kann es den gesamten Prozess zerstören, wenn Dokumente veröffentlicht werden. So können gute Dinge zunichte gemacht werden, die ansonsten aus den diskret gehandhabten Verhandlungen hervorgehen würden.

Manche Leute sagen, dass mehr Transparenz Demokratie stärkt. Glauben Sie, dass WikiLeaks zur Stärkung von Demokratie in der Welt beigetragen hat?

> Engström: Ja das denke ich. Sehr sogar, da Transparenz eines der grundlegenden Dinge einer Demokratie ist. Worin liegt der Sinn wenn man Menschen das Recht zu wählen gibt, ihnen jedoch die Information darüber vorenthält, was die Regierung oder die Opposition tut? Das Ziel jeder Demokratie muss es sein, informierte Bürger zu haben, die informierte Entscheidungen treffen.

Das umfassende Ziel von WikiLeaks ist es, Regierungen deutlich zu machen: Glaubt ja nicht dass ihr damit durchkommt wenn ihr Dinge versteckt oder die Unwahrheit sagt. Der indirekte Effekt von WikiLeaks ist es, dass Regierungen mehr transparent werden und auch ehrlicher.

> Kukan: Also ich würde Ihnen ja gerne eine direkte Antwort geben, so dass Sie mich nicht diplomatischer Pirouetten bezichtigen können, aber manchmal gibt es so eine Antwort einfach nicht. Ich kann in einem gewissen Maße bestätigen, dass die WikiLeaks-Veröffentlichungen einen positiven Effekt gehabt haben. In Ländern, wo diktatorische Regime herrschen, sind die positiven Dinge deutlicher und intensiver zu spüren. Ich verdamme daher nicht alles was veröffentlicht wurde. Aber es muss eine Linie geben zwischen dem was veröffentlicht werden sollte, um die Freiheit des Zugangs zu Informationen für jeden zu gewährleisten und Dingen, die nicht veröffentlicht werden sollten, um beispielsweise diskrete persönliche Beziehungen nicht zu zerstören.

Wer sollte denn entscheiden, welche Informationen veröffentlicht werden sollen und welche nicht? Soll dies durch die Führung von WikiLeaks getan werden oder sollen darüber hochrangige Diplomaten oder Politiker entscheiden?

> Engström: Nein das sollte nicht WikiLeaks sein und die Führung von WikiLeaks würde das Gleiche sagen. Was die wollen, und was ich will, ist dass es viel mehr Webseiten gibt, die Informationen veröffentlichen ohne deshalb rechtlich angegangen zu werden. Wenn es nur eine solche Veröffentlichungsseite gibt, dann wären sie die einzigen machtvollen und wir müssten sie überwachen. Wenn es jedoch viele solcher Seiten gibt, löst sich dieses Problem auf.

> Kukan: Die Leute von WikiLeaks sollten ein Gespür dafür haben, was öffentlich werden kann und was geheim bleiben soll. Aber die Kriterien dafür sollten von einer politischen Führung klar definiert werden.

Wird WikiLeaks die zukünftige Struktur von internationalen Beziehungen beeinflussen und auch die Art wie Diplomaten miteinander umgehen?

> Engström: Die Realität hat sich verändert. Regierungen, Botschaften und jeder der an der Macht ist, müssen sich nun damit arrangieren dass Dinge, die man geheim halten will, mit größerer Wahrscheinlichkeit an die Öffentlichkeit gelangen können. Ich denke, dass dies gut ist, insbesondere wenn es um Beziehungen zwischen Staaten geht. Was wir wollen ist Offenheit. Offenheit schafft Vertrauen und verringert Risiken. Wenn die großen Akteure nicht sicher sind, was die andere Seite plant, dann tendieren sie zu größerer Vorsicht. Dies war die Logik des Kalten Krieges.

Also, allgemein gesprochen dient Offenheit dazu, internationale Spannungen zu verringern und dies wird zu einer besseren und stabileren Welt führen.

> Kukan: Ich denke dass es die weitere Entwicklung diplomatischer Beziehungen negativ beeinflussen wird. Diejenigen, die mit Namen genannt werden, werden es im Hinterkopf behalten und werden vorsichtiger und nicht so offen reden. Jeder der mit Namen genannt wird, wird vorsichtiger werden. Daher stimme ich mit all denen überein, die sagen, dass das diplomatische und politische Leben nach den WikiLeaks Veröffentlichungen nicht mehr dasselbe sein wird.

REF : 20110131STO12842

- Zur Person: Engström und Kukan
* Eduard Kukan (*1939) war von 1964-1994 Diplomat und slowakischer Außenminister (1994 und 1998-2006). Seit 2009 ist er Abgeordneter der Europäischen Volkspartei im Europaparlament.
* Christian Engström (*1960) ist Programmierer und politischer Aktivist, Vorkämpfer gegen Software-Patente. Seit 2006 ist er Mitglied der Piratenpartei und seit 2009 Abgeordneter im Europa-Parlament (Mitglied der Fraktion der Grünen/EFA)

- Weitere Informationen :

* Christian Engström
* Eduard Kukan
* Interview mit Marietje Schaake über kulturelle Diplomatie (Englisch)
* Parlamentsdebatte über WikiLeaks (Englisch)


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