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Date :  2009-04-21
langue :  Allemand
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Welche Globalisierung wird überleben?


Die Weltwirtschaft wird in diesem Jahr zum ersten Mal seit 1945 schrumpfen, und einige Ökonomen sorgen sich, dass die aktuelle Krise den Anfang vom Ende der Globalisierung bedeuten könnte. Wirtschaftlich schwere Zeiten stehen in Wechselbeziehung zum Protektionismus, da jedes Land die anderen verantwortlich macht und seine einheimischen Arbeitsplätze schützt. In den 1930er Jahren verschlimmerte eine derartige „Beggar-thy-neighbour-Politik“ die Situation. Wenn die Politiker derartigen Reaktionen nicht widerstehen, könnte die Vergangenheit zur Zukunft werden.

Ironischerweise bedeutete eine solche düstere Aussicht jedoch nicht das Ende der Globalisierung – definiert als Zunahme der weltweiten Netzwerke wechselseitiger Beziehungen. Die Globalisierung hat mehrere Dimensionen, und obwohl die Ökonomen es allzu häufig so darstellen, als wären Globalisierung und Weltwirtschaft ein und dasselbe, haben andere Formen der Globalisierung ebenfalls bedeutsame Auswirkungen auf unser tägliches Leben, die nicht immer positiv sind.

Die älteste Form der Globalisierung ist umweltbezogen. So wurde z. B. die erste Pockenepidemie 1350 v. Chr. in Ägypten aufgezeichnet. Sie erreichte China 49 n. Chr., Europa nach 700, Amerika 1520 und Australien 1789. Die Beulenpest – oder der Schwarze Tod – begann in Asien, doch löschte ihre Verbreitung ein Viertel bis ein Drittel der europäischen Bevölkerung im vierzehnten Jahrhundert aus.

Im fünfzehnten und sechzehnten Jahrhundert brachten die Europäer Krankheiten nach Amerika, die bis zu 95 % der indigenen Bevölkerung auslöschten. 1918 kamen bei einer Grippepandemie, die durch ein Vogelvirus verursacht worden war, rund 40 Millionen Menschen weltweit um, wesentlich mehr als in dem kurz zuvor beendeten Weltkrieg. Einige Wissenschaftler sagen heute eine Wiederholung einer Vogelgrippepandemie voraus.

Seit 1973 sind 30 zuvor unbekannte Infektionskrankheiten aufgetaucht, und andere bekannte Krankheiten haben sich geografisch in neuen, medikamentenresistenten Formen verbreitet. In den 20 Jahren, nachdem HIV/AIDS in den 1980ern identifiziert wurde, sind dem Virus weltweit 20 Millionen Menschen zum Opfer gefallen und weitere 40 Millionen wurden infiziert. Einige Experten sagen voraus, dass sich diese Zahl bis 2010 verdoppeln wird. Die Verbreitung fremder Tier- und Pflanzenarten in neuen Gebieten hat einheimische Spezies ausgelöscht und könnte zu wirtschaftlichen Verlusten von mehreren Hundert Milliarden Dollar pro Jahr führen.

Der globale Klimawandel wird das Leben der Menschen überall beeinflussen. Tausende von Wissenschaftlern aus über 100 Ländern berichteten vor Kurzem, dass es neue und stichhaltige Beweise dafür gibt, dass ein Großteil der Erwärmung, die im Laufe der letzten 50 Jahre beobachtet wurde, auf menschliche Aktivitäten zurückzuführen ist, und für die durchschnittlichen globalen Temperaturen im einundzwanzigsten Jahrhundert wird prognostiziert, dass sie um 1,4 bis 5,6 Grad Celsius steigen. Das Ergebnis könnten heftigere Klimaschwankungen sein, mit zu viel Wasser in einigen Regionen und nicht genug in anderen.

Zu den weiteren Folgen werden stärkere Stürme, Hurrikane und Überschwemmungen, extremere Dürreperioden und mehr Erdrutsche zählen. Steigende Temperaturen haben die frostfreie Saison in vielen Regionen verlängert, und die Gletscher schmelzen. Die Geschwindigkeit, mit der der Meeresspiegel im letzten Jahrhundert anstieg, war zehnmal schneller als die durchschnittliche Geschwindigkeit der letzten drei Jahrtausende.

Dann gibt es da die militärische Globalisierung, die aus verflochtenen Netzwerken besteht, in denen Gewalt oder die Androhung von Gewalt eingesetzt wird. Die Weltkriege des zwanzigsten Jahrhunderts sind ein Paradebeispiel. Die vorherige Ära der wirtschaftlichen Globalisierung erreichte 1914 ihren Höhepunkt und wurde durch die Weltkriege zurückgeworfen. Doch während die globale wirtschaftliche Integration ihr Niveau von 1914 erst ein halbes Jahrhundert später wieder erreichte, wuchs die militärische Globalisierung, als die wirtschaftliche Globalisierung schrumpfte.

Während des Kalten Krieges war die globale strategische Interdependenz zwischen den Vereinigten Staaten und der Sowjetunion genau umrissen und weithin anerkannt. Sie erzeugte nicht nur weltumspannende Bündnisse, jede der beiden Seiten hätte auch Interkontinentalraketen einsetzen können, um die andere innerhalb von 30 Minuten zu zerstören.

Dies war nicht nur deshalb einschneidend, weil es vollkommen neu war, sondern weil das Ausmaß und die Geschwindigkeit des potenziellen Konflikts aufgrund der militärischen Interdependenz so gewaltig waren. Heute haben die Al Kaida und andere transnationale Akteure globale Netzwerke von Mitgliedern gebildet, die den konventionellen Ansatz der nationalen Verteidigung durch die so genannte „asymmetrische Kriegsführung“ herausfordern.

Und schließlich besteht die gesellschaftliche Globalisierung aus der Verbreitung von Menschen, Kulturen, Bildern und Ideen. Die Migration ist ein konkretes Beispiel. Im neunzehnten Jahrhundert überquerten ungefähr 80 Millionen Menschen die Ozeane, um ein neues Zuhause zu finden – wesentlich mehr als im zwanzigsten Jahrhundert. Zu Beginn des einundzwanzigsten Jahrhunderts waren 32 Millionen US-Einwohner (11,5 % der Bevölkerung) im Ausland geboren. Außerdem kommen jedes Jahr ca. 30 Millionen Besucher (Studierende, Geschäftsleute, Touristen) ins Land.

Ideen sind ein ebenso wichtiger Aspekt der gesellschaftlichen Globalisierung. Die Technik vereinfacht die physische Mobilität, aber lokale politische Reaktionen gegen Einwanderer hatten sich bereits vor der aktuellen Wirtschaftskrise gemehrt.

Heute besteht die Gefahr darin, dass kurzsichtige protektionistische Reaktionen auf die Wirtschaftskrise dazu beitragen könnten, die wirtschaftliche Globalisierung abzuwürgen, die Wachstum verbreitet und im Laufe des letzten halben Jahrhunderts Hunderte Millionen von Menschen aus der Armut befreit hat. Doch wird der Protektionismus die anderen Formen der Globalisierung nicht einschränken.

Durch moderne Technologie breiten sich Krankheitserreger leichter aus als in früheren Zeiten. Bequemes Reisen gepaart mit wirtschaftlich schweren Zeiten bedeutet, dass sich die Einwanderungsraten bis zu dem Punkt beschleunigen könnten, an dem die soziale Reibung den allgemeinen wirtschaftlichen Nutzen übersteigt. Ebenso können wirtschaftlich schwere Zeiten die Beziehungen unter den Regierungen verschlechtern und innere Konflikte verschärfen, die zu Gewalt führen können.

Gleichzeitig profitieren grenzübergreifend operierende Terroristen weiterhin von der modernen Informationstechnologie, wie dem Internet. Und obwohl die flaue Wirtschaftsaktivität das Tempo, in dem sich Treibhausgase in der Atmosphäre ansammeln, etwas verringern kann, wird sie auch jene kostspieligen Programme bremsen, die die Regierungen durchführen müssen, um etwas gegen die bereits vorhandenen Emissionen zu unternehmen.

Wenn also die Regierungen bei der Ankurbelung ihrer Wirtschaft nicht kooperieren und dem Protektionismus nicht widerstehen, könnte die Welt feststellen, dass die aktuelle Wirtschaftskrise nicht das Ende der Globalisierung bedeutet, sondern nur das Ende der guten Art der Globalisierung, was uns mit der schlechtesten aller Optionen zurücklässt.
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Joseph S. Nye Jr. ist Professor in Harvard und wurde vor Kurzem von anderen Gelehrten des Fachs internationale Beziehungen als einer der einflussreichsten Gelehrten der letzten 20 Jahre eingestuft.

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(Cambridge)

Aus dem Englischen von Anke Püttmann

Copyright: Project Syndicate, 2009
- URL: http://www.project-syndicate.org/commentary/nye69/German


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