Im Anschluss an den ersten EU-Brasilien-Gipfel am 4. Juli in Lissabon kam der brasilianische Präsident Lula da Silva am Donnerstag ins Europaparlament, wo er von Parlamentspräsident Hans-Gert Pöttering empfangen wurde und mit den Fraktionsvorsitzenden sprach. Wir haben ihn zu den gescheiterten Welthandelsgesprächen, zur Rolle von Biokraftstoff und zur Armutsbekämpfung befragt.
Ende Mai hat die Europäische Kommission eine strategische Partnerschaft zwischen der EU und Ihrem Land vorgeschlagen. Aber nur drei Wochen darauf sind die Verhandlungen über den Welthandel in Potsdam gescheitert. Sehen Sie darin einen Widerspruch? Mit welcher Botschaft treten Sie vor die Fraktionsvorsitzenden im Europaparlament?
Die Strategische Partnerschaft ist zu allererst eine politische Übung. Handelsverhandlungen zwischen Brasilien und der EU hingegen werden weiterhin im Rahmen der Welthandelsorganisation und im Zusammenhang mit einer Assoziierung von Mercosur und EU verhandelt werden.
Meine Botschaft lautet, dass die momentanen technischen Handelsgespräche in einer Sackgasse stecken. Ich bin zu Gesprächen mit den politischen Verantwortungsträgern bereit, um zu einer politischen Verständigung zu kommen, die die momentane Blockade auflösen könnte. Die Gespräche dieser Woche können dazu dienen, sich mit den grundlegenden Problemen auseinanderzusetzen, deren Lösung politische Führung erfordert.
Die EU-Ratspräsidentschaft hat Brasilien unlängst als den zukünftigen „Farmer der Welt“ bezeichnet. Was halten Sie von dieser Titulierung?
Die Leistungsfähigkeit der brasilianischen Landwirtschaft macht uns zu einem der wettbewerbsfähigsten Exporteure von Agrarprodukten. Die Verminderung von staatlicher Intervention, Deregulierung des Marktes und Handelsliberalisierung in Verbindung mit Investitionen in Forschung und Technologie haben dazu beigetragen.
Damit Brasilien seine Rolle als Brotkorb der Welt ausbauen kann, brauchen wir allerdings multilaterale Handelsregeln, die offenen und fairen Handel unterstützen und wir brauchen einen Erfolg bei den Doha-Handelsgesprächen.
Viele der Armen in der Welt sind Bauern. Sie sind von den Subventionen und Schutzzöllen direkt betroffen. Die Subventionen und Zölle vermindern die Chancen von potenziellen Agrar-Unternehmern in den Entwicklungsländern. Deshalb hat Brasilien bei den Doha-Verhandlungen stets soviel Wert auf den Agrarbereich gelegt.
Auf pflanzlicher Basis hergestellte Treibstoffe, sogenannte Biokraftstoffe, waren beim EU-Brasilien-Gipfel eines der Themrn. Viele setzten in sie Hoffnungen beim Klimaschutz. Brasilien hat bereits große Erfahrungen in diesem Bereich und ist das größte Exportland. Aber die Biokraftstoff-Produktion steht auch in Konkurrenz zur Nahrungsmittelproduktion und in Brasilien ist Unterernährung nach wie vor ein Problem. Wie kann Brasilien diese beiden Seiten in Einklang bringen?
Wenn Sie das Potenzial von Biokraftstoffen bewerten wollen, dann sollten Sie bedenken, dass Hunger letztendlich eine Frage der Einkommensverteilung ist – die globale Nahrungsmittelproduktion ist mehr als ausreichend um die Weltbevölkerung zu ernähren.
Die Erfahrung Brasiliens zeigt, dass Biokraftstoffe sogar dazu beitragen können Armut zu bekämpfen. In Brasilien schafft die Ethanolproduktion direkt und indirekt mehr als einen Millionen Jobs, mit überdurchschnittlichen Löhnen.
Wir haben kürzlich auch ein Biodiesel-Programm aufgelegt, das Arbeit für Zehntausende von kleinen Landbesitzern bietet, besonders in den wirtschaftlich schwächeren Regionen im Nordosten. In Brasilien wird 40 Prozent des Benzins bereits durch Ethanol ersetzt und Biodiesel wird auch eine zunehmend wichtigere Rolle spielen.
Der Einfluss der Produktion von Biokraftstoffen auf die Nahrungspreise ist ehr gering. Mehr als 70 Prozent der Armen in der Welt leben auf dem Land und sie können von steigenden Preisen für Agrarprodukte eher sogar profitieren.
Und schließlich sind die meisten Entwicklungsländer Netto-Importeure von Erdöl, es kann ihnen nur nutzen, lokale Energiequellen zu entwickeln und ihre Ölimporte zu verringern.
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Biokraftstoffe sind aus organischem Material gewonnene Treibstoffe. Die am weitesten verbreiteten Biokraftstoffe sind Biodiesel (hergestellt aus Pflanzenölen) und Bioethanol (hergestellt aus zuckerhaltigen und stärkehaltigen Pflanzen). Brasilien ist der Welt größte Exporteur von Biokraftstoffen: 2006 exportierte das Land 3,2 Milliarden Liter. In Brasilien können bereits über die Hälfte der Neuwagen mit Ethanol betrieben werden.