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Date :  2006-01-18
langue :  Allemand
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Terrorismen und globales Chaos

Globales Chaos


Die Auswirkung des Terrorismus auf die Identität des Subjekts lässt sich einigermaßen leicht erfassen: Der in Zeit und Raum unvorhersehbare terroristische Akt ist die gewalttätigste Form des psychologischen Krieges. Räumliche Ubiquität, zeitlicher Überraschungseffekt, Ahnungslosigkeit der betroffenen Zielgruppe: all diese Charakteristiken machen eine perzeptive Antizipation unmöglich. Der blinde Terrorakt ist deswegen stark emotional belastet, da das Subjekt angesichts der Unmöglichkeit, die objektiven Determinanten des Attentats zu kontrollieren, letzteres folgerichtig einem anonymen Täter zuschreibt. Eben diese dem Objekt des Terrors eigene Fremdheit drückt die Entmenschlichung einer fühlbaren Präsenz aus, auf die sich ein anonym bleibender Anderer stützt, der mich nicht kennt.

Daher das dringende Bedürfnis, dem Anderen einen Namen zu geben, und sich einem Chef zuzuwenden, von dem das Subjekt erwartet, dass dieser seiner Welt einen Sinn gibt. Sobald diese Funktion in Frage gestellt wird, bricht Panik aus. Der Präsident der USA, eine Art neuer Doktor Frankenstein, der zusehen musste, wie sich die von ihm selbst geschaffene Kreatur gegen sein eigenes Volk erhob, erkannte eben dieses dringende Bedürfnis und wies auf Bin Laden und die rogue States, die Gaunerstaaten. Im Fall Saddam Hussein ging es darum, die Zerstörung einer noch nicht bewiesenen - möglicherweise imaginären oder erfundenen - Bedrohung zu legitimisieren. Die Designation Saddam Husseins überzeugte längst nicht alle: die Schwierigkeit, den Anderen aus der Anonymität zu holen, ergibt sich aus der gegenwärtigen Singularität der Terrorismusakte, die durch das globale Chaos gewissermaßen privatisiert scheinen.

Während des Kalten Krieges kannten wir das Kräftegleichgewicht des Terrors, die jegliche Möglichkeit einer direkten - und daher gleichermaßen suizidären - Konfrontation bannten. Heute ersetzen dieses Gleichgewicht indirekte Terrorismusstrategien, die von einzelnen Staaten und deren Geheimdiensten unterstützt werden. Einst war es nicht schwer, den geheimen Orchesterchef der Gegnerseite auszumachen: die Motivationen waren verständlich in einer Zeit der nur noch auf Zwänge reagierenden Diplomatie. Heute befinden sich die Botschafter leider wieder in exponierter Stellung, die die Routine lange Zeit okkultiert hatte.

Seit Beginn des 21. Jahrhunderts demokratisierte sich der Terrorismus in gewisser Weise und steckte Gruppierungen an, die lange Zeit von derartigen Methoden abließen: Sekten, Gewerkschaften, Einzelpersonen ( „Unabomber“ ). Aus dem globalen Chaos schallen wie ein Echo die verschwommenen, blitzartig aufleuchtenden und sich dann wieder verflüchtigenden Gesichtszüge der Terroristen. Der Terrorismus lässt sich wohl nur auf tautologisch und zirkuläre Weise definieren, und bislang gelang es nicht, das Phänomen mit Hilfe einer vollständigen Liste zu erfassen: Wie wäre es auch möglich, dasselbe Konzept auf solch unterschiedliche Gruppen anzuwenden wie Hamas, die Hauptfiguren des internationalen Dschihadismus wie Al Zawahiri, all jene Gruppierungen, die unter dem Namen al-Qaida rangieren, regionale Terrorbewegungen wie den korsischen FNLC, E.TA, I.R.A oder die algerische GIA, das Drogenkartell von Medellin oder die Sekte AUM? Die Ziele weichen voneinander ab, die Mittel hingegen sind mehr oder weniger dieselben.

Der Terrorismus verweist auf die Dauerhaftigkeit des Kriegs: Er stellt einen Krieg nach Clausewitz dar, einen Krieg ohne Schlachtfeld, wenn das vorausgegangene Ungleichgewicht der Kräfte die Guerillas erschöpft hat. Man bezeichnete den Terrorismus als einen Krieg der letzten Chance, eine Art Fausthieb am Ende der Partie. Doch es scheint, als sei er vielmehr der Beginn einer permanenten Bedrohung. Die Singularität der Terrorismusakte hingegen verweist auf die Zersplitterung einer Welt, in der Konzepte wie Souveränität, Unabhängigkeit und Grenzen nicht mehr den einstigen Sinn haben. Die Staatssouveränität mutierte zu Staatenbündnissen, die Ausübung der Staatsgewalt ihrerseits beschränkt sich zunehmend auf einzelnen Gruppen und Individuen und dies in Mikrostaaten ohne Territorium, Bevölkerung und Rohstoffe. Durch die Schwächung des politischen Willens und das Zerschlagen der wesentlichsten Reglementierungen unterstützte die wirtschaftliche Globalisierung das Aufkeimen nichthierarchischer Organisationen und Netzwerke. Zwar kam diese neue Lage globalen Firmen und NGOs zugute, doch proliferierten auch parasitäre Organisationen - kriminelle oder mafiöse Netzwerke, Sekten und terroristische Gruppierungen - und sickerten in die Ritzen der Outlaw-Zonen.

Eben diese terroristischen Gruppen legen Wert darauf, sich von den kriminellen Netzwerken zu unterscheiden, indem sie sich als Opfer darstellen, als das Produkt einer vorausgegangenen Gewalttat. Die fortschreitende Merkantilisierung verursacht eine Zuspitzung der Ungleichheiten sowie ökologische Katastrophen. Das Chaos breitet sich aus und zieht immer mehr Länder mit einer strukturell stagnierenden Wirtschaft oder solche, die einer permanenten Gewalt ausgesetzt sind, in seinen Sog. Damit lässt sich die bestrafende Haltung gegenüber dem allgemeinem Benehmendes Westens erklären. Trotz allem wäre es trügerisch, die Terroranschläge als das Resultat einer Manipulation von al-Qaida zu resümieren: Die Netzwerke besitzen ihre eigene Organisation und sie zehren von lokalen Unzufriedenheiten, Hass zwischen Bevölkerungsgruppen, aufgestauter Animosität, ethno-religiösen Konflikten wie im Kosovo, in Bosnien, Tschetschenien und vor allem im Nahen Osten, wo sich der Abszess des Terrorismus im Konflikt zwischen Israel und Palästina festgesetzt hat, der allem Anschein nach kein Ende nehmen soll.

Es reicht also nicht, die verhängnisvollen Auswirkungen der Marktglobalisierung als einzige Ursache der aktuellen Terrorismusakte anzugeben. Häufig überlagert die Globalisierung vielmehr alte Bitterkeit und akzentuiert sie. So wird dann in ihr der einzige Grund für ein schon zu lange erlittenes Unglück gesehen; indem man die Verantwortung auf den Anderen abwälzt, braucht man nicht über die eigene nachzudenken.

Obwohl gängigerweise der Akzent auf die Aggressivität islamistischer Gruppierungen gesetzt wird und der neue Krieg - mit Bin Laden und Bush - an missionarischen Wahn und Mystizität aller Art denken lässt, können die suizidären Aktionen der neuen Kamikaze nicht ausschließlich religiösem Fanatismus und einem versprochenen Einlass in das Paradies Allahs zugeschrieben werden. Wer das Gegenteil behauptet, dem entgehen eben gerade Hoffnungslosigkeit und Armut, die die Kraft der Religionen ausmachen und zum Martyrium verleiten. Der Kamikaze-Terrorismus ist die Revanche des Todes über eine allgegenwärtige Dominanz, auf die es nur eine verzweifelte Antwort gibt: einen Faustschlag am Ende der Partie seitens des Individuums, da die Partie ohnehin ohne es weitergehen wird.

Natürlich stellt der blinde Mord von Unschuldigen ein Verbrechen dar, doch kann nicht übersehen werden, dass der Terrorismus in Form von Selbstmordattentaten in einer anonymen Anklage ein Anliegen abseits von Moral oder gar Glauben vorbringt und somit Ausdruck des skandalösen Zustands einer Welt ist, von der man glaubt, dass es besser sei, sie zu zerstören, indem man sich selbst zerstört, da die Hoffnung eine andere Welt aufzubauen unzugänglich scheint. Dies rückt den folgenden Gedanken von Marx mehr als je in den Brennpunkt der Aktualität: „Besser ein Ende mit Schrecken als ein Schrecken ohne Ende“ .




Übersetzt von Evi Moser


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Besser ein Ende mit Schrecken als ein Schrecken ohne Ende (Karl Marx)


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