"Die Mondialisierung" ist weder eine Naturkatastrophe noch ein Geschenk des Himmels. Diejenigen, die sie wie ein „Faktum“ darstellen, versuchen in Wahrheit nur, ihre eigene private und exklusive Definition und Praktik der Mondialisierung durchzusetzen, und um jeden Preis eine Einmischung der Bürger zu verhindern. In diesem Sinne ist es unerlässlich, dieser Privatpraktik (im Dienste wirtschaftlicher und politischer Zwecke) entgegenzutreten, um aus der Mondialisierung, wieder das zu machen, was sie ist: ein vielförmiger, komplexer, evolutiver, instabiler Gegenstand, der nicht auf ein „Faktum“ reduzierbar ist. Er zwingt zu einem echten Denkprozess, um in seiner vollen Komplexität begriffen zu werden. Das Wesentliche dieser Mondialisierung ist also die Vielfalt, ohne die sie ihre Bedeutung verliert und die alleine die Mondialisierung in akzeptabler Form für die Menschheit vorantragen kann.
Von diesem Ausgangspunkt aus und mit dieser Perspektive, hat sich die Forschungs- und Studiengruppe Mondialisierungen (GERM – Groupe d’Etudes et de Recherches sur les Mondialisations) das Ziel gesetzt, die interdisziplinäre Forschung zu den Mondialisierungen sowie Bildung und Ausbildung der Bürger voranzutreiben, um ihnen ihre kritische Wiederaneignung zu ermöglichen und sie in den verschiedenen professionellen, intellektuellen und pädagogischen Aktivitäten zu berücksichtigen.
Ebenso hat sich GERM, in Partnerschaft mit dem Programm Leonardo da Vinci der Europäischen Union, zur Aufgabe gesetzt, in Europa das Programm „Die Mondialisierungen einbeziehen lernen“ zu entwickeln, das auf innovativen Methoden und Inhalten beruht und unterstützt wird durch die Expertisen und die außerordentliche wissenschaftliche Kompetenz seines transnationalen Netzes universitärer und institutioneller Partner.
I. Eine Neudefinition „der Mondialisierung“
Es ist an der Zeit, den reduzierenden Blickwinkel aufzugeben aus dem die "Mondialisierung" als außergewöhnliches, noch nie da gewesenes Phänomen erscheint, ohne historisches Äquivalent, das zu Beginn der 90er Jahre mit der Ausbreitung der NICTs (New Information and Communication Technologies) entstanden sei und das eine vollkommen „neue“ Welt hervorbringen werde (deshalb auch der bestimmte Artikel - als ob diese Mondialisierung die erste wäre...). Im Gegensatz dazu sehen wir hier die Gelegenheit, die reiche philosophische Tradition der Weltbegriffe aufzugreifen, von den antiken Kosmologien, über die beachtlichen Beiträge der sogenannten Aufklärer (erinnern wir uns der berühmten Kantischen Schrift "Idee zu einer allgemeinen Geschichte in weltbürgerlicher Absicht" von 1784), bis zu den zeitgenössischen Versuchen die Welt zu denken. Durch diese Lektüre wird klar, dass "die Mondialisierung" ein Thema ist, seit es ein Denken der Politik und der Natur (Subjekt der ersten praesokratischen Schriften) gibt. Desgleichen wird eine aufmerksame Relektüre der Geschichte erlauben "die (gegenwärtige) Mondialisierung" in eine lange Tradition einzureihen: unter anderem in die Nachfolge der griechischen Mondialisierungen, dann der römischen, der spanisch-portugiesischen Mondialisierung des 16. und 17. Jahrhunderts, der britisch-niederländischen Mondialisierung des 18. Jahrhunderts, des napoleonischen Mondialisierungsversuchs sowie zuletzt der Mondialisierung im letzten Viertel des 19. Jahrhunderts.
Diese Perspektive hat die Einschränkung der Verwendung des polemischen Konzepts "der Mondialisierung" zur Folge und bringt demgegenüber das Konzept der Mondialisierungen in die aktuelle Debatte ein. Mondialisierungen im Plural meint eine Vielzahl an fortschreitenden Prozessen in den unterschiedlichsten Bereichen mit komplexen Zusammenhängen und Charakteristiken sowie unterschiedlichen "Graden" des Fortschritts, deren "gemeinsame Bedeutung" – wenn es eine gibt – nur schwer erkennbar ist und die eher nach Cartesianischem Zweifel und Nietzscheschem Verdacht verlangt als nach Gewissheiten und Ideologien.
In der Tat, "die Mondialisierung" klar umrissen und in Szene gesetzt, orchestriert von einer Anzahl von "opinion leaders" entpuppt sich als ideologische Maschine, deren gewollte Verbreitung, zur Rechtfertigung oder auch zur Denunziation für eine einseitige Repräsentation der aktuellen Welt und ihrer Entwicklung dienen soll: für die einen positive, apologetische Vision (die Wohltaten der Mondialisierung), für die anderen düsteres und apokalyptisches Szenario (die negativen Folgen der selben Mondialisierung).
Der Einseitigkeit, die den Gegenstand der aktuellen Debatte - nämlich "die Mondialisierung" - immer verworrener werden lässt, ist auch die Bildung einer binären Moral anzulasten. Für diese verarmte Moral, von den "Befürwortern" und den "Gegnern der Mondialisierung" gemeinsam geschmiedet, stellt sich einzig die Frage, ob diese nun "gut" oder "böse" sei (immer unter der unbewiesenen Voraussetzung, dass es sich bei der Mondialisierung um einen wohlbekannten Gegenstand handle). Im Bemühen dieser Opposition eine Nuance hinzuzufügen geht man manchmal soweit eine Unterscheidung der "guten und der schlechten Mondialisierung" nahe zu legen, aber die verwendeten Kategorien bleiben die selben. Die allgemeine Verbreitung einer derart grobmaschigen Moral muss Gegenstand einer wahren Kritik werden. Um so mehr als man ihren verheerenden Charakter noch nicht voll erfasst hat - verheerend vor allem für die Moral der Bürger und die Politikverdrossenheit, die man ihnen vorwirft.
Wie kann man der Einseitigkeit "der Mondialisierung" entkommen? Zunächst, indem man sich für die Mondialisierungen in ihrer Verschiedenheit interessiert, die in keiner Weise auf ein Kriegsmotiv reduziert werden können. Denn wie könnte man "für" oder "gegen" die Mondialisierungen des Rechts (besonders der Menschenrechte), der wissenschaftlichen Forschung oder demokratischer Praktiken sein ? Es ist klar, dass diese Haltung keinen Sinn hätte: die Komplexität und der Bedeutungsreichtum, den das Konzept der Mondialisierungen generiert, zwingen in der Tat zu Reflexion und schließen Moralismus aus dem Diskurs aus. Es kommt also darauf an, sich nicht mehr um jeden Preis in bezug auf die "Mondialisierung" zu positionieren, sondern die Prozesse der Mondialisierungen in nahezu allen Bereichen in ihrer Vielfalt und auf verschiedene Weisen zu studieren (z.B. von verschiedenen Disziplinen aus, wie Geschichte, Anthropologie, Philosophie, Soziologie und Ethnologie aus): von der Kulturindustrie bis zu den Kämpfen um die Umwelt, von den Kleidergebräuchen bis zur Anklage der Verbrechen gegen die Menschlichkeit.
Nur wenige gesellschaftliche Themen haben in der Geschichte der Gegenwart ebenso viele negative und positive Phantasmen erzeugt wie "die Mondialisierung". Nun ist es höchste Zeit, dieses Reich der Phantasmen mit jenem der Politik zu tauschen, der Politik, welche die Polis formt und deren Gegenstand die beste Regierung für alle ist.
Nur durch eine solche kritische Auseinandersetzung werden wir aus der gegenwärtigen Sackgasse finden und ein "extra-moralisches" (um eine Nietzschesche Kategorie zu verwenden) Urteil über dieses Objekt täglicher Polemik formulieren können.
Ebenso muss die Reduktion "der Mondialisierung" auf ihre rein kommunikationale Dimension vermieden werden – diese ist offensichtlich, zu offensichtlich. "Mondialisierung" kann nicht bloß die immer leichtere und schnellere Kommunikation mit dem anderen Ende der Welt bedeuten, diese „technologische Industrialisierung“ stiftet noch keine Zivilisation... Dagegen erlaubt die Aufmerksamkeit für diese Unterscheidung, an die Idee der Zivilisation anzuschließen: jene einer zivilen Mondialisierung, die eben deshalb zivil ist, weil es dabei nicht nur um erleichterte Kommunikation oder Handel zwischen den Menschen geht. Ebenso können die Techniken, die seit einigen Jahren den Informationenverkehr explosionsartig haben ansteigen lassen, nicht selbst als produktiv in Hinsicht auf eine neue Zivilisation betrachtet werden, sie können in den Dienst eines solchen Projekts gestellt werden, eines Projektes, dem es jedoch noch Form und Sinn zu geben gilt.
Ich für meinen Teil sehe keinen anderen als jenen kollektiven Prozess, der auf freiwilliger und rationaler (und nicht länger emotionaler) Form die Frage der Mondialisierung im Bereich des Teilens restituiert - und nicht länger im Bereich von
Herrschaft. Die Mondialisierung im Bereich des Teilens zu verorten impliziert nicht den naiven Glauben an a priori wohltätige Wirkungen der Prozesse, die sich vor unseren Augen abspielen. Es bedeutet einfach, dass, wenn jeder begriffen hat, dass das, wovon gesprochen wird, sehr wohl das Geschick der gesamten Gesellschaft
betrifft, man sich nicht länger den Luxus erlauben kann, diesbezüglich in einem trivialen Konflikt zu verbleiben. Andererseits gibt es zahlreiche Anzeichnen, dass diese „Sache“ in zunehmendem Masse zu einem Gegenstand des Teilens werden kann, fähig den Fortschritt der Gemeinschaft zu befördern. So kann man nur erregt sein angesichts der Tatsache, dass die jüngste Mondialisierung der "innenpolitischen" Ereignisse in Jugoslawien in großem Ausmaß dazu beigetragen haben scheint, die Situation in die Richtung zu entwickeln, die man kennt. Und man kann nur beeindruckt sein von den Anstrengungen, die mit innovativen Methoden in allen Regionen der Welt unternommen werden, um zivile, religiöse und ethnische Kriege zu verhindern und zu stoppen, und, vor allem, um mit weitreichender internationaler Hilfe langfristige Lösungen (mit begleitender Unterstützung) zu finden. Man kann nur bewegt sein von der Multiplikation transkontinentaler Initiativen zur Annäherung und Zusammenarbeit (sogar außerhalb jedes politischen Kontexts) im pädagogischen, wissenschaftlichen und universitären Bereich. Alle diese Mondialisierungsprozesse und ihre Folgen gehören ebenfalls dem Bereich des Teilens an, ohne auf eine Ideologie, einen Clan oder auf private oder exklusive Interessen reduzierbar zu sein. Indem man sich an solchen rezenten Durchbrüchen inspiriert, sie reflektiert und nicht bloß als simple Fakten hinnimmt, kann, indem ihnen ein ganz anderer Wert gegeben wird, das "Gesetz des Stärkeren der Mondialisierung" in Richtung einer Instanz reorientiert werden, die dem Gemeinwohl entspricht. Eine Instanz die nicht auf Anhieb gegeben ist, aber deren vielfältige Spuren zu beobachten sind und die nicht chancenlos erscheint, am Ende doch noch zu triumphieren, um der kantischen weltbürgerlichen Idee posthum Recht zu geben. "Die Mondialisierung" muss vielleicht aufhören eine klare Sache zu sein - zu klar für manche - um wieder zu einer Frage zu werden, der Frage nach dem Bau und dem Teilen einer gemeinsamen Zukunft.
II. Kultur, Erziehung, Globalisierung und Mondialisierungen
Diese Überzeugungen formuliert, ist es essentiell die delikaten Beziehungen, die Globalisierung, Mondialisierungen, Bildung und Kultur unterhalten, neu zu definieren, um die Frage nach der kulturellen Vielfalt aufzuhellen.
Der Gedanke, den „die Globalisierung“ zunächst hervorruft, ist vor allem das Gesetz der Ökonomie ist, dass sich auf alle anderen Aktivitäten überträgt (oder dazu neigt), ohne zwischen natürlichen und qualitativen Grenzen zu unterscheiden. Es ist das Primat der Wirtschaft, ein absolutes, ungeteiltes Primat, dass sich aus ökonomischer Sicht nur in Form der Domination zeigt, ob sie nun ein freundliches oder hässliches Gesicht trägt. Es bringt nichts, sich der mindesten Illusion hinzugeben, dass diese ohne äußeren Zwang dazu beiträgt, die kulturelle Vielfalt zu schützen, zu ermutigen und zu entwickeln, sei sie sozialer, edukativer oder kultureller Art.
Tatsächlich hat die globalisierte Wirtschaft der Bildung und der Kultur nur ein Modell anzubieten: das ihrer Industrialisierung. Wo immer diese eingreift (Universität, Berufsausbildung, Kino, Museen, Bücher, Theater, Musik, etc.), ihre Prinzipien und Funktionsformen sind vergleichbar, wenn nicht sogar identisch. Diese Wirtschaft bietet lediglich die "gute Geschäftsführung", in Wirklichkeit die ihrer eigenen Interessen: ein finanziell optimiertes Management ihrer eigenen Investitionen. Wie ein guter Familienvater übernimmt die Wirtschaft als Chef des oikos die Aufgaben des Haushalts, ein Haushalt, der "die Welt" geworden ist. Von ihm hängt alles ab, zu ihm fließt alles zurück und sein Gesetz ist oikonomia.
Ferner hat man begonnen, die eigentliche Natur der Beiträge der Globalisierung zu hinterfragen, wie beispielsweise, ob ein weltweit industrialisiertes Produkt (Film, Buch oder CD) überhaupt noch "kulturell" genannt werden kann. Oder ob man nicht soweit gehen sollte, diese „kulturellen Produkte“, die in unseren Alltag eingedrungen sind (mit all ihren „Nebenprodukten“, die Lebensmittel eingeschlossen), zu disqualifizieren und dann als x-beliebige neu zu qualifizieren, die dann nichts mehr mit Kultur zu tun haben. Etwas, das, um Clausewitz zu gebrauchen, nur die Fortführung der ökonomischen Beziehungen über andere Argumente des Verkaufs und andere Träger ist (ein exzellentes Beispiel hierfür ist die Umwandlung der Gruppe Générale des Eaux nachdem sie den Fernsehsender Canal Plus und den CD-Produzenten Universal gekauft hat. Beschäftigte sie sich zuvor hauptsächlich mit Wasserversorgung und Abfallbeseitigung, widmet sie sich nach der Umbenennung in Vivendi nahezu ausschließlich dem Verkauf von cinematografischen und audiovisuellen Inhalten, sowie dem Internet).
Ich glaube, genau in diesem Sinn kann man von Globalisierung im Bereich von Kultur und Bildung sprechen, einer enormen kapitalistischen Dynamik, der die gesamte editoriale Aktivität betrifft (vom geschriebenen Wort bis zu Bild und Ton), der Träger eines sichtbaren sektoriellen Wachstums ist, aber auch durch eine spürbare Abnahme der Vielfalt charakterisiert ist: