Europa profitiert von der Globalisierung. Sie hat den Völkern Europas in der zweiten Hälfte des letzten Jahrhunderts Vorteile gebracht, und durch den raschen weltwirtschaftlichen Wandel, den wir derzeit erleben, bestehen Aussichten auf eine weitere Verbesserung des Lebensstandards. Der Nutzen der Globalisierung resultiert aus denselben Faktoren wie in der Vergangenheit: niedrigere Preise für Konsumenten und Unternehmen, ein größeres internationales Handelsaufkommen, höhere Produktivitätsniveaus und Reallöhne, bessere und umfassendere Verbreitung des technologischen Fortschritts sowie eine breitere Auswahl von Produktvarietäten. Jedoch muss die EU, da sie untrennbar mit der Weltwirtschaft verbunden ist, die Herausforderung der Globalisierung proaktiv angehen. Der Schwerpunkt der Diskussion sollte auf der Frage liegen, wie die Chancen der Globalisierung wahrgenommen werden können. Doch muss es in dieser Diskussion auch um sorgfältig konzipierte politische Strategien gehen, die Flexibilität mit Fairness verbinden und dazu beitragen, den Menschen die Fertigkeiten zu vermitteln sowie Unterstützung und Anreize zu geben, die sie brauchen, um in einer sich ändernden Welt erfolgreich zu bestehen.
Dies sind die wichtigsten Schlussfolgerungen der Jahresbilanz 2005 der EU-Wirtschaft, die in diesem Jahr gänzlich den jüngsten Trends in der wirtschaftlichen Globalisierung und ihren Auswirkungen gewidmet ist.
„Europa muss sich im Rahmen der sich abzeichnenden neuen internationalen Arbeitsteilung innerhalb der Wertschöpfungskette auf einem höheren Niveau repositionieren. Wir müssen unsere Fähigkeit, neue Tätigkeiten und Beschäftigungsmöglichkeiten zu schaffen, verbessern und neue und bessere Wege finden, um den Menschen bei der Anpassung an einen Prozess zu helfen, der für die Welt der Armen wie auch der Reichen von Vorteil ist. Mit anderen Worten, um die Vorteile aus der Globalisierung ziehen zu können, müssen wir gewährleisten, dass die erneuerte Lissabon-Strategie mit ihrem Schwerpunkt auf Beschäftigung und Produktivität in vollem Umfang umgesetzt wird”, so das für Wirtschaft und Währung zuständige Kommissionsmitglied Joaquin Almunia.
Nach vorsichtigen Schätzungen ist die die Integration in die Weltwirtschaft zu rund einem Fünftel für die in den vergangenen 50 Jahren verzeichnete Zunahme des realen Pro-Kopf-Einkommens verantwortlich. Wir haben das Potenzial, weitere Vorteile aus der Globalisierung zu ziehen, wenn wir die Struktur unserer Volkswirtschaften reformieren, insbesondere indem wir den europäischen Binnenmarkt vollenden. Von der Integration in die Weltwirtschaft profitieren alle, wie an den beträchtlichen Fortschritten bei der Armutsbekämpfung abzulesen ist. Eine erfolgreiche Doha-Runde kann diese Dynamik weiter verstärken.
EU festigt ihre Position als wichtigste Handelsmacht
Der Bericht macht deutlich, dass bei näherer Untersuchung viele der Besorgnisse im Zusammenhang mit der Globalisierung nicht durch Beweise belegt sind. Die EU hat nicht nur ihren Marktanteil am Welthandel gehalten, sie hat auch ihre Position als wichtigste Handelsmacht gefestigt. Vor der Erweiterung von 2004 hatten die damaligen EU-Mitgliedstaaten nach den neuesten Zahlen der UN einen Weltmarktanteil von knapp 16 % und lagen damit deutlich vor den USA mit 10 %. Aus den entsprechenden Belegen geht darüber hinaus hervor, dass diese EU-Länder in erster Linie auf den gegenseitigen Märkten oder in den Vereinigten Staaten investieren. Im Zeitraum 2000-2003 machten die ausländischen Direktinvestitionen in Ländern außerhalb der EU weniger als 3 % des EU-BIP aus, und nur ein Zehntel dieses Betrags ging in die neuen Mitgliedstaaten, China und Indien. Diese Tendenzen werden durch neuere Zahlen offensichtlich bestätigt.
Dies bedeutet, dass auch wenn das Auftauchen Chinas auf der Welthandelsszene insbesondere in den Niedrigtechnologiebranchen / arbeitsintensiven Produktionszweigen zweifellos als entscheidende Begebenheit zu werten ist, die Gesamtwirkungen für die Hochtechnologie-Segmente des Marktes nicht übermäßig dramatisiert werden sollten. Der Exportanstieg in China basiert darauf, dass das Land nahezu alle Teile und Komponenten mit hoher Wertschöpfung, die in die Produktion dieser Waren eingehen, einführt. Auch der Handel mit Dienstleistungen hat zugenommen, doch ging das Outsourcing von Unternehmensdienstleistungen ebenfalls in starkem Maße mit einer Zunahme der Exporte einher. Die EU weist denn auch einen soliden Handelsbilanzüberschuss bei unternehmensbezogenen Dienstleistungen auf, der im Jahr 2003 ½ % des BIP entsprach. Insgesamt dürfte der Nettoeffekt für die Beschäftigung vernachlässigbar sein, und es deutet unter dem Strich nichts darauf hin, das Länder mit einem höheren Maß an Offenheit unter höherer Arbeitslosigkeit leiden.
Um die potenziellen Gewinne aus der Globalisierung ziehen zu können, müssen die Produktionsstrukturen jedoch auf neue Bereiche mit komparativen Vorteilen ausgerichtet werden. Zurzeit ist die EU in einer Reihe von Sektoren der Hochtechnologie und mittleren Hochtechnologie, insbesondere Kraftfahrzeuge, pharmazeutische Produkte und Spezialmaschinen, besonders stark. Mit Blick auf die Zukunft sollten die Politiker bedenken, dass Chinas komparativer Vorteil bei arbeitsintensiven Erzeugnissen viele Jahre lang bestehen bleiben dürfte und dass ein relativ großer Anteil der EU-Exporte in diese Produktgruppen fällt. In Anbetracht dieser Entwicklungen wird es für die EU entscheidend sein, nicht nur ihre eigene Position in den Sektoren der Hochtechnologie und mittleren Hochtechnologie zu konsolidieren, sondern auch stetig daran zu arbeiten, ihre Schwächen in einer Reihe von Hochtechnologie-Marktsegmenten, insbesondere den Informations- und Kommunikationstechnologien, zu überwinden.
Es ist jedoch nicht alles positiv. Es ist nicht auszuschließen, dass von diesem strukturellen Transformationsprozess bestimmte Sektoren oder Regionen erfasst werden, die auf Branchen mit gering bezahlten und gering ausgebildeten Arbeitskräften angewiesen sind. Doch auch wenn die Anpassung kurz- bis mittelfristig kostspielig und unbequem sein kann, sollten wir die Menschen bei der Umschulung und beim Erwerb neuer Kenntnisse unterstützen, die ihnen die Möglichkeit eröffnen, einen anderen Arbeitsplatz zu finden bzw. in andere Sektoren, Beschäftigungen oder Regionen zu wechseln. Protektionismus und der Versuch, Arbeitsplätze und Industriezweige vor dem internationalen Wettbewerb zu schützen, würden nur dazu führen, die wirtschaftliche Effizienz, Einkommen und Beschäftigungschancen langfristig zu verringern.