Ref. :  000001849
Date :  2001-09-18
langue :  Allemand
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Recht auf Einmischung

Recht auf Einmischung

Source :  Tanella Boni


Jedes menschliche Wesen besitzt in sich ein Prinzip der Autonomie und der Lebenserhaltung. Ihm dieses Prinzip wegzunehmen, dies kommt der Unterbrechung eines Naturprozesses, dem Eingriff in eine notwendige Ordnung für den Artenfortbestand gleich. Hat man das Recht, sich in den Naturverlauf des Lebens einzumischen? Die aktuellen Debatten über das menschliche Klonen und die Euthanasie sind genau hier einzuordnen. Ist die wissenschaftliche Forschung nicht das erste Terrain, auf dem ein Recht auf Einmischung zur Anwendung kommt? Eben deshalb ist die ethische Debatte allgegenwärtig in der Wissenschaft: das Experimentieren verringert die Unwissenheit, kann dem Menschen einen höheren Lebensstandard und ein längeres Leben ermöglichen.

In jenem Moment, angesichts von Situationen mit außerordentlicher Tragweite, denkt man an einen „beschützenden Dritten“, an einige herausragende Persönlichkeiten, mit einer noblen Mission bedacht: Schutz der Menschenrechte, Wohnbarmachung der Erde. Unter ihnen Sokrates, erster „Einmischer“ in die Angelegenheiten der Menschen oder der spanische Prälat Bartolomé de las Casas, der die Menschlichkeit der Indianer gegen die spanischen Eroberer in Mexiko verteidigte. Und im 20. Jahrhundert auch diejenigen, die die Gewaltlosigkeit verteidigten und demonstrierten: Menschen wie Mahatma Ghandi, Friedensnobelpreisträger Martin Luther King oder Mutter Theresa. Spricht man jedoch vom „Recht auf Einmischung“, was diese „Hüter des Guten“ anbelangt? Alles spielt sich ab, als ob Hilfe, Trost, Wirken für den Frieden oder der Versuch, die Menschheit menschlicher zu gestalten, ihre Pflicht als Mann oder Frau darstelle.

Nach dem Zweiten Weltkrieg haben andere „Hüter“ die Nachfolge angetreten, und zwar in der Form von internationalen Institutionen, die eine wirtschaftliche, politische, diplomatische, militärische oder humanitäre Rolle im Weltmaßstab spielen. Heute kann kein Land von sich behaupten, wirklich allein oder isoliert in der Welt zu sein. Die Welt ist ein organisiertes Ganzes, eine Ordnung, die aus ungleichen Teilen besteht. Hört jedoch die Aktionsfreiheit jedes einzelnen Teils nicht genau dort auf, wo die der anderen beginnt? Und begrenzt sich all dies im Westen, der die Welt regiert? Hat der Westen das Recht zu töten, um die Menschenrechte in gewissen Regionen der Welt zu schützen? Daran kann man auf extreme Weise das Recht auf Einmischung illustrieren. Im Jahr 2000 sind zum Beispiel „strategische Stellen“ bombardiert und Infrastrukturen zerstört worden, um das Belgrader Regime zu schwächen und Slobodan Milosevic zu stürzen. Die Bevölkerung hat die schlimmen Folgen „dieser externen Aggression“ erdulden müssen, und der Diktator von Belgrad hat bis zu dem Punkt Widerstand geleistet, an dem ein Volksaufstand ihn von der Macht verdrängt hat. Auf den ersten Blick scheint die europäische und amerikanische „Ordnungskraft“ da also versagt zu haben. Aber es gibt einen zweiten Akt, und Milosevic wird dem ausgeliefert, denn ein Gerichtsprozess auf internationaler Ebene ist in Vorbereitung. Dieses Beispiel macht deutlich, dass sich heutzutage der Wille, Ordnung ins Chaos zu bringen, nicht notwendigerweise aus einer Eroberungs- oder Expansionslust heraus ergibt, sondern auch einem „Recht“ auf Überwachung und Bestrafung der Schuldigen der Verbrechen gegen die Menschheit und der Missachtung der unantastbaren Grundrechte entspringt (Recht auf Leben, Gedankenfreiheit, Bildung).

Es passiert jedoch, dass der Eingriff von außen die Staatsräson gegen den Respekt der Menschenwürde stellt. Die „Weltpolizisten“ sehen nicht alle begangenen Verbrechen und lassen sie manchmal gar geschehen – wie in Ruanda 1994. Die Großmächte beschützen also manche Diktatoren, um ihre Interessen zu verteidigen oder Einflussbereiche zu wahren. Trotz der Allgemeinen Erklärung der Menschenrechte – „zu erreichendes gemeinsames Ideal aller Völker und Nationen“ – wie es 1948 von der UNO verabschiedet wurde, werden weiterhin Waffen ge- und verkauft. In gewissen Ländern – wie in Nigeria, Angola oder im Kongo – verschmutzt die Erdölförderung durch multinationale Unternehmen die Umwelt in erheblichem Maße, verarmt sie die Bevölkerung und nimmt ihr kultivierbares Land weg... Ist das nicht eine andere Gestalt des „Rechts auf Einmischung“? Ein widersinniges Recht, das sich als Lebensretter und Schützer der Grundrechte versteht, das aber ziemlich häufig Lebensbedingungen zerstört, ganze Regionen destabilisiert, seine eigenen Gesetze im Namen von Wirtschaftsinteressen oder „Werten“ erlässt, die mehr als die Menschheit gelten.


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