Wichtigste Ziele
1.Anerkennung der "Doppelnatur"von Kulturgütern und -dienstleistungen als
zugleich 'Handelsware' und Gegenstand von Kulturpolitik
2.Anerkennung des Rechts aller Staaten auf eine eigenständige Kulturpolitik
3.Anerkennung der in den Menschenrechtserklärungen enthaltenen Bestimmungen
zur kulturellen Selbstbestimmung der/des Einzelnen und sozialer Gruppen
4.Etablierung eines globalen Beobachtungsmechanismus zur Beurteilung der welt-weiten
Situation in bezug auf die kulturelle Vielfalt
Ausgangspunkt
Die Initiative verschiedener UNESCO-Mitglieder (INCP ,Internationales Netzwerk
Kulturpolitik)sowie die deutsch-französische Initiative vom Januar 2003 (Gemein-same
Elysée-Erklärung),die "Allgemeine Erklärung zur kulturellen Vielfalt"vom
November 2001 zu einem zwischenstaatlichen Abkommen auszubauen,führte am
17.Oktober 2003 zur Entscheidung der 32.Generalkonferenz für die Ausarbeitung
einer UNESCO-Konvention zum Schutz der kulturellen Vielfalt. Die überwältigende
Mehrheit der Delegationen sprach sich ausdrücklich für eine Vision von
kultureller Vielfalt aus,welche Demokratie fördert und Wandel und Dialog sucht.Das
in der UNESCO-Verfassung gefasste Prinzip des freien Flusses von Ideen wurde
ausdrücklich als Öffnung aller Kulturen gegenüber allen anderen bekräftigt.
Vorbehalte gibt es derzeit noch vor allem in den USA,Großbritannien,den
Niederlanden und Australien.Nach aktuellem Stand der Beratungen dürften diese
Staaten einer Konvention nur dann zustimmen,wenn
a)die Handelbarkeit von Kulturgütern und Dienstleitungen gesichert bleibt
b)die Konvention keine neuen Hürden für Kulturaustausch und Informationsfluss
schafft
c)Marktmechanismen zur Sicherung kultureller Vielfalt ebenso anerkannt werden
wie staatliche Interventionen.
Hierbei geht es zentral um die mögliche Ausgestaltung des Prinzips der Kulturverträglichkeit.
Eine Verabschiedung der Konvention ist frühestens auf der 33.UNESCO-Generalkonferenz
im Herbst 2005 möglich.Die Deutsche UNESCO-Kommission initiiert zur
Begleitung dieses Arbeitsprozesses eine bundesweite Koalition Kulturelle Vielfalt
(Kick Off-Fachgespräch am 14.Juni 2004 in Berlin).
Gegenstand der Konvention
Ziel ist die Schaffung eines neuen "internationalen Instruments"für die nationale
Politik,mit dessen Hilfe kulturpolitische Ziele mit internationalen Handelsabkommen
in Einklang gebracht werden können.Gegenstand dieser Konvention wird der
Schutz der Vielfalt kultureller Inhalte und künstlerischer Ausdrucksweisen sein.
Sie soll verbindliche Regeln für einen gleichgewichtigeren und gleichberechtigten
internationalen Austausch von kulturellen Erzeugnissen aufstellen,bzw.diesen
teilweise erst ermöglichen.
Die Konvention soll in erster Linie die Legitimität von Kulturpolitiken international
anerkennen,dies vor dem Hintergrund,dass nach den GATS-Regeln (insbesondere
MFN-Regel,Inländerbehandlung)eine Vielzahl von Kulturpolitiken (steuerliche Maßnahmen,
Quotenregelungen bei Film/TV/Radio,Besitz von Kulturunternehmungen,
Zuschüsse u.a.)als handelspolitisch unerwünschte Diskriminierungen einzustufen
sind.Die Konvention soll bilaterale und plurilaterale Kooperationsabkommen im
Kulturbereich,vor allem zugunsten der Entwicklung der audiovisuellen Produktion in
den Entwicklungsländern befördern.
Ein Kulturinstrument böte eine komplementär zu den handelspolitisch ausgerichteten
WTO-Verträgen und Verhandlungen definierte kulturpolitische Berufungsgrundlage,
in der nicht unterschreitbare Prinzipien der Kulturverträglichkeit
festgeschrieben würden;in anderen Bereichen (Umwelt,Arbeit)gibt es bereits
analoge Instrumente,die inzwischen von der WTO als Referenzdokumente
anerkannt werden.Im Hinblick auf Rechtsregelungen der WTO könnte ein
Rechtsinstrument zur kulturellen Vielfalt deren Auslegung beeinflussen,etwa bei
der Beilegung von Streitfällen.
Stand der Ausarbeitung der Konvention -Fahrplan 2004/2005
Phase I:Arbeit der Expertengruppe:Der Generaldirektor der UNESCO hat eine
15-köpfige internationale Expertengruppe (u.a.aus Kulturpolitik,Politischen
Wissenschaften,Philosophie,Wirtschaftswissenschaften,Völkerrecht)für drei
nicht-öffentliche Arbeitsitzungen (17.bis 20.Dezember 2003,30.März bis 3.April
2004 und 28.bis 31.Mai 2004)einberufen.
Aus Deutschland ist als Mitglied berufen:Prof.Dr.Dr.Sabine von Schorlemer
(Lehrstuhl für Völkerrecht,Recht der EU und Internationale Beziehungen,
TU Dresden).
Die UNESCO hat auf der Basis der bisherigen Arbeitsergebnisse am 7.April 2004
einen ersten Expertenentwurf für Mitte Juli 2004 angekündigt,voraussichtlich mit
Alternativoptionen in strittigen Fragen,mit den Elementen
• neuer Titelvorschlag:"Internationale Konvention zum Schutz der Vielfalt
kultureller Inhalte und der künstlerischen Ausdrucksweisen"
• Präambel auf der Basis der Allgemeinen Erklärung zur kulturellen Vielfalt
(UNESCO 2001)
• Kap.I,Ziele der Konvention,Rechtsprinzipien (Schutz und Stärkung kultureller
Vielfalt,Natur von Kulturgütern und -diensten als Ware besonderer Art,interkultureller
Dialog,Menschenrechtsprinzipien Meinungs-und Wahlfreiheit,
Gleichwertigkeit der Kulturen)
• Kap.II,funktionelle Begriffsdefinitionen,Geltungsbereich (kulturelle Inhalte,
künstlerische Ausdrucksweisen)
• Kap.III,Rechte und Pflichten der Vertragsstaaten auf nationaler und
internationaler Ebene (Anerkennung der kulturpolitischen Souveränität der
Vertragsstaaten,Informationsaustausch)
• Kap.IV,Mechanismen der internationalen Zusammenarbeit (Schaffung
tragfähiger Kulturindustrien,vor allem in Eentwicklungsländern)
• Kap.V,Entscheidungsgremien,Umsetzungsmechanismen (Disputschlichtung)
Phase II:die zwischenstaatliche Verhandlungsphase beginnt ab September 2004
(Prüfung des Entwurftextes durch die Mitgliedstaaten bis Mitte November 2004)bei
gleichzeitiger offizieller Konsultation zwischen UNESCO und WTO,WIPO und
UNCTAD,die auch in Phase I laufend über den Fortgang der Arbeiten unterrichtet
werden.Parallel dazu erfolgen weitere Konsultationen mit internationalen NROs
(Künstlerverbände,Kulturpolitik)und internationalen Organisationen 3 .Ein Bericht des
Generaldirektors und ein Konventionsentwurf werden im Februar 2005 vorgelegt.
3 vollständige Liste aller zu konsultierenden Organisationen siehe Annex des UNESCO-Dok.169EXR/40 vom
7.April 2004
Bundesweite Koalition Kulturelle Vielfalt
Die Deutsche UNESCO-Kommission begleitet die Ausarbeitung dieser Konvention
auf nationaler Ebene mit Hilfe einer bundesweiten Koalition für kulturelle Vielfalt
zeitnah.Ein umfassendes Informationsangebot zum Stand der Arbeiten mit
relevanten nationalen und internationalen Dokumenten ist auf der Homepage der
Deutschen UNESCO-Kommission (www.unesco.de)unter "Aktuelles"online
geschaltet (http://www.unesco.de/c_arbeitsgebiete/kulturelle_vielfalt.htm).
Derzeit gibt es weltweit 11 solcher Koalitionen (u.a.Kanada,Australien,Frankreich,
Korea,Senegal,Chile),deren Arbeit von einem Liaisonkomitee begleitet wird (mit
beratendem Status bei der UNESCO).
Am 14.Juni 2004 wird in Berlin als Kick Off-Meeting ein Fachgespräch mit ca.50
ExpertInnen stattfinden,das einen Argumentationsleitfaden (Dt./Eng.)auf der Basis
von Stellungnahmen aus Sicht der nationalen kulturellen Akteure erarbeiten wird
(Musik,Literatur,Theater,Museen,Film,Rundfunk).
Für 2004/2005 sind zwei weitere Konsultationen sowie verstärkte Öffentlichkeitsarbeit
geplant.
Hintergrund
A.GATS-Verhandlungen
Die Bestrebungen zur Entwicklung eines verbindlichen Rechtsmittels zum Schutz
der kulturellen Vielfalt stehen in direktem Zusammenhang mit dem 1994 vereinbarten
Allgemeinen Übereinkommen über den Handel mit Dienstleistungen GATS im
Rahmen der WTO,auf dessen Grundlage Verhandlungen für weitergehende
Liberalisierungen auch bei kulturellen,audiovisuellen und Bildungsdienstleistungen
geführt werden.Die z.Zt.laufende neue WTO-Runde soll bis
Januar 2005 abgeschlossen werden. Die vom GATS vorgesehene sukzessive
Ausweitung von Marktöffnungsverpflichtungen stellt –trotz im GATS vorgesehener
Möglichkeit von Ausnahmeregelungen –die Instrumente nationaler Kultur-und
Bildungspolitik wie
• Förderung
• Quoten
• Beschränkungen des Marktzugangs
als Handelsbarrieren grundsätzlich in Frage.Aufgrund der marktbeherrschenden
Stellung der Kulturindustrie der USA könnte die im Rahmen der WTO angestrebte
Entwicklung eine Oligopolisierung von Produktion und Vertrieb und damit eine
Standardisierung des kulturellen Lebens begünstigen;außerdem laufen
Entwicklungsländer aufgrund fehlender Ressourcen Gefahr,vom -sich über
neue Informationstechnologien entwickelnden -internationalen Kulturraum
ausgeschlossen zu werden.
B.Erklärungen von Europarat und UNESCO
Europarat (7.12.2000)und UNESCO (2.11.2001)haben vor dem Hintergrund der
GATS-Verhandlungen rechtlich nicht bindende Erklärungen zur kulturellen Vielfalt
verabschiedet:
Die Europarat-Erklärung hebt die Bedeutung einer Kultur-und Medienpolitik als
notwendiger Ergänzung zur Handelspolitik (2.1)sowie die Rolle des öffentlichen
Rundfunks für die kulturelle Vielfalt (2.5)hervor und fordert die Mitgliedstaaten zur
Berücksichtigung der kulturellen Vielfalt in anderen internationalen Foren auf,welche
die Übernahme von Verpflichtungen zum Erhalt dieser Vielfalt beeinträchtigen
könnten (3.2).
Die UNESCO-Erklärung fordert die Anerkennung des Rechts auf kulturelle
Selbstbestimmung von Einzelnen wie von Gruppen (Art.2 -5)sowie der
Besonderheit kultureller Güter und Dienstleistungen,die als Träger von Identitäten,
Wertvorstellungen und Sinn nicht als einfache Waren oder Konsumgüter betrachtet
werden können (Art.8);es sei jedem Staat überlassen,im Rahmen internationaler
Verpflichtungen seine eigene Kulturpolitik zu definieren und mittels ihm geeignet
erscheinender Regelungen und Fördermaßnahmen umzusetzen (Art.9).In dem
Aktionsplan,der der Erklärung angehängt ist,verpflichten sich die Mitgliedstaaten zur
weiteren Befassung mit der Zweckmäßigkeit eines internationalen juristischen
Instruments zum Schutz der kulturellen Vielfalt.
(Der Text der "Allgemeinen Erklärung zur kulturellen Vielfalt"der UNESCO ist
auf der Homepage der Deutschen UNESCO-Kommission verfügbar unter
http://www.unesco.de/pdf/deklaration_kulturelle_vielfalt.pdf).