Wettbewerbskommissar Mario Monti kommentierte die Annahme dieser Regelungen wie folgt: "Die Reform der Technologietransfer-Vorschriften wird den Zugang zu Innovationen erleichtern und Unternehmen ein breiteres Betätigungsfeld und Gestaltungsfreiheit verschaffen. Durch Stärkung der Innovationsanreize bei gleichzeitiger Konzentration auf jene Beschränkungen, die dem Wettbewerb ernsthaft schaden können, kann die Wettbewerbspolitik entscheidend dazu beitragen, der EU-Wirtschaft neue Dynamik zu verleihen und damit den Lissaboner Zielvorgaben ein gutes Stück näher zu kommen."
Lizenzvereinbarungen sind für die wirtschaftliche Entwicklung und die Verbraucher von großer Bedeutung, da sie zur Verbreitung von Innovationen beitragen und Unternehmen die Integration und Nutzung ergänzender Technologien und Fertigkeiten ermöglichen. Lizenzvereinbarungen können jedoch auch für wettbewerbswidrige Zwecke missbraucht werden. Dies ist u. a. dann der Fall, wenn zwei Wettbewerber mit Hilfe einer Lizenzvereinbarung Märkte untereinander aufteilen oder wenn ein einflussreicher Lizenzgeber konkurrierende Technologien vom Markt fern hält. Da der Wettbewerb einer der Hauptantriebskräfte für Innovation und Verbreitung der Technologie ist, kommt es auf das richtige Verhältnis zwischen dem Schutz des Wettbewerbs und dem Schutz der Rechte an geistigem Eigentum an.
Lizenzvereinbarungen, die den Wettbewerb beschränken, sind nach dem Wettbewerbsrecht der EU, insbesondere nach Artikel 81 EG-Vertrag, verboten. In den meisten Fällen haben Lizenzvereinbarungen jedoch auch positive Effekte, die stärker ins Gewicht fallen als ihre wettbewerbsbeschränkenden Wirkungen. Die neue Regelung für den Technologietransfer besteht aus einer Gruppenfreistellungsverordnung und Leitlinien.
Die Gruppenfreistellungsverordnung sieht für die meisten Lizenzvereinbarungen eine automatische Freistellung vom Verbot des Artikels 81 EG-Vertrag vor. In den Leitlinien wird die Anwendung des Artikels 81 EG-Vertrag auf Vereinbarungen erläutert, die nicht unter die Gruppenfreistellung fallen.
Die neue Regelung ersetzt die Gruppenfreistellungsverordnung von 1996(1), die in ihrem Anwendungsbereich enger gefasst und wegen ihres formalistischen Ansatzes zu restriktiv war. Unternehmen haben jetzt freiere Hand und können ihre Lizenzvereinbarungen nach ihren geschäftlichen Bedürfnissen gestalten. Die Gruppenfreistellung ist allerdings an bestimmte Marktanteilsschwellen gebunden: 20 % bei Lizenzvereinbarungen zwischen Wettbewerbern und 30 % bei Vereinbarungen zwischen Nicht-Wettbewerbern.
Die Verordnung enthält eine schwarze Liste der so genannten Kernbeschränkungen. Demnach sind nun alle Vereinbarungen freigestellt, die nicht ausdrücklich von der Gruppenfreistellung ausgeschlossen sind. Damit unterscheidet sich die neue, flexiblere Verordnung von der Verordnung von 1996 mit ihren weißen und grauen Listen.
Solange die Unternehmen die Marktanteilsschwellen nicht überschreiten, brauchen sie sich um die Vereinbarkeit ihrer Vereinbarungen mit dem EU-Wettbewerbsrecht nicht zu sorgen. Verboten sind nur klar definierte Kernbeschränkungen, die sich negativ auf den Markt auswirken. Bestehende oder neue Vereinbarungen, die nicht unter die Gruppenfreistellung fallen, gelten nicht von vornherein als verboten, solange keine Kernbeschränkung vorliegt. Solche Vereinbarungen müssen individuell geprüft werden. Diese Vorgehensweise unterscheidet sich deutlich vom alten formalistischen Ansatz, demzufolge restriktive Klauseln außerhalb der Gruppenfreistellung häufig als unzulässig angesehen wurden. In den Leitlinien wird dargelegt, nach welchen Grundsätzen Vereinbarungen, die nicht unter die Gruppenfreistellung fallen, geprüft werden.
Auch der Anwendungsbereich der neuen Regelung ist jetzt weiter gefasst, da auf vielfachen Wunsch all derer, die sich zu den Entwürfen geäußert haben, über Patent- und Know-how-Lizenzen hinaus auch Muster- und Softwarelizenzen einbezogen wurden. In den Bereichen wie Patentpools und Urheberrechtslizenzen, in denen die Kommission zum Erlass einer Gruppenfreistellungsverordnung nicht befugt ist, geben die Leitlinien klare Hinweise darauf, wie die künftige Wettbewerbspolitik umgesetzt wird.
Eine Reihe wichtiger Beschränkungen, die die Produktion, den Kundenkreis oder den Anwendungsbereich betreffen, werden jetzt milder beurteilt. Diese und andere Änderungen sorgen dafür, dass die neue Verordnung eine effektive Verbreitung von Innovationen ermöglicht und den Unternehmen ein größeres Betätigungsfeld und mehr Gestaltungsfreiheit verschafft.
Die Gruppenfreistellung folgt dem Muster der neuen Generation von Gruppenfreistellungsverordnungen und Leitlinien für Vertriebs- und horizontale Kooperationsvereinbarungen, ohne die offenkundigen Unterschiede zwischen Lizenzvergabe und Vertrieb oder Lizenzvergabe und FuE-Vereinbarungen außer Acht zu lassen.
Die Verordnung und die Leitlinien werden im Amtsblatt veröffentlicht und können im Internet unter folgender Adresse abgerufen werden:
http://europa.eu.int/comm/competition/whatsnew.html
Hintergrund
Nach Artikel 81 Absatz 1 EG-Vertrag sind alle Vereinbarungen verboten, die den Handel zwischen den Mitgliedstaaten beeinträchtigen können und eine Verhinderung, Einschränkung oder Verfälschung des Wettbewerbs innerhalb des Gemeinsamen Markts bezwecken oder bewirken. Nach Artikel 81 Absatz 3 können wettbewerbswidrige Vereinbarungen vom Verbot des Artikels 81 Absatz 1 freigestellt werden, wenn ihre positiven Wirkungen über die negativen Wirkungen hinausgehen. Die Kommission kann für gleiche Gruppen von Vereinbarungen eine Gruppenfreistellung vorsehen, was sie 1996 mit der Technologietransfer-Verordnung 240/96 für Patent- und Know-how-Lizenzvereinbarungen getan hat.
Die von der Kommission zu dieser Verordnung durchgeführte Konsultation ergab, dass viele die Verordnung von ihrem Ansatz her für zu eng gefasst, zu präskriptiv und zu legalistisch hielten.
Die neuen Regelungsentwürfe waren im Oktober und November vergangenen Jahres Gegenstand einer umfassenden Konsultation, zu der über 70 Beiträge aus Recht und Wirtschaft sowie von Anwaltsfirmen, einzelstaatlichen Behörden und Hochschulen eingingen. Auf der Grundlage dieser Kommentare, die den gegenüber der Verordnung von 1996 wirtschaftsorientierteren, flexibleren Ansatz begrüßten, wurden weitere Änderungen vorgenommen.
Die neuen Regelungen sind Bestandteil einer umfassenden Politik zur Verbesserung der Lesbarkeit, des Anwendungsbereichs und des Schutzes der Wettbewerbsvorschriften sowie zur Förderung innovativer Geschäftsmodelle in alten und neuen Wirtschaftssektoren. Die neue Technologietransfer-Verordnung ist die letzte einer Reihe von Gruppenfreistellungsverordnungen der neuen Generation. Die neuen Gruppenfreistellungsverordnungen zeichnen sich durch eine Abkehr vom alten legalistischen, formalistischen Ansatz und eine Hinwendung zu einem stärker wirtschaftsorientierten, wirkungsbezogenen Ansatz aus, der innovativen Unternehmen, die den üblichen Wirtschaftspraktiken nicht folgen wollen, mehr Spielraum lässt. Die erste Gruppenfreistellungsverordnung der neuen Generation mit entsprechenden Leitlinien wurden 1999 zu Vertriebsvereinbarungen erlassen. Im Jahr 2000 folgten die horizontalen Kooperationsvereinbarungen.