Im Anschluss an die FAO-Konferenz in Rom und an eine Reihe bilateraler und multilateraler Gespräche äußerte sich EU-Agrarkommissar Franz Fischler mit verhaltenem Optimismus zu den anstehenden WTO-Verhandlungen über den Handel mit landwirtschaftlichen Erzeugnissen. "Die Europäische Kommission hat die Ergebnisse der Konferenz von Cancún sorgfältig ausgewertet. Daraufhin haben wir eine umfassende Strategie ausgearbeitet, um den WTO-Verhandlungen am 15. Dezember in Genf neuen Schwung zu verleihen. Hier in Rom habe ich den Eindruck gewonnen, dass alle bereit sind, an den Verhandlungstisch zurückzukehren. Es hat sich offenbar die Einsicht durchgesetzt, dass Cancún eine Chance war, die wir nicht genutzt haben. Es gab keine Gewinner, sondern nur Verlierer. Besonders viel verloren haben die Entwicklungsländer. Die EU ist durchaus bereit, im Interesse offenerer Agrarmärkte eine größere Last auf sich zu nehmen. Wir müssen das komplexe Thema der Beihilfen für die Landwirtschaft ebenso anpacken wie die Probleme des Protektionismus und der Handelshemmnisse. Dies gilt nicht nur für die Industriestaaten, sondern auch für die Entwicklungsländer. Nur wenn wir den ärmsten Ländern eine Sonderbehandlung einräumen, können wir bei den WTO-Verhandlungen zu einem fairen Ergebnis gelangen," so Fischler heute in Rom auf einer Pressekonferenz.
Kommissar Fischler betonte, dass die WTO-Agrarverhandlungen nur dann zu einem erfolgreichen Abschluss kommen können, wenn sie den folgenden fünf Punkten Rechnung tragen:
Mehr Fairness für die Entwicklungsländer
"Diese WTO-Verhandlungsrunde bezeichnen wir nicht zufällig als Entwicklungsagenda. Entwicklung ist ein wichtiges Ziel und wir stehen dazu. Deshalb soll niemand daran zweifeln, dass die EU bereit ist, bei der Lastenverteilung im Zuge der Liberalisierung des Agrarhandels weitere Verpflichtungen zu übernehmen. Alle Industrieländer sollten den Ausfuhren aus den 49 ärmsten Ländern der Welt einen völlig zoll- und quotenfreien Zugang gewähren und auf wenigstens 50% ihrer Einfuhren aus den übrigen, wirtschaftlich leistungsfähigeren Entwicklungsländern keine Zölle erheben," betonte Fischler.
"Geben und nehmen" für alle
Um "alles oder nichts" zu spielen, ist vielleicht eine gute Strategie für die letzten Spielminuten in der Champions' League. Aber bei der WTO wird nach anderen Regeln gespielt. Wenn 146 Länder miteinander verhandeln, ist es stets ein gegenseitiges Geben und Nehmen.
Als die Verhandlungen von Cancún scheiterten, waren es deshalb gerade die Entwicklungsländer, die ja von einer Liberalisierung des Agrarhandels am meisten profitieren könnten, die mit leeren Händen nach Hause gingen. Keine wesentliche Verbesserung des Marktzugangs, keine nennenswerte Reduzierung der handelsverzerrenden Agrarsubventionen, keine Abschaffung der verschiedenen Formen der Exportförderung, keine Sonderbehandlung für Entwicklungsländer, nein, überhaupt nichts. Mit anderen Worten, die G-19 haben ein klassisches Eigentor geschossen. In den letzten Monaten und Wochen ist die EU wiederholt von ihrer Startposition abgewichen. Wir haben sehr viel Flexibilität an den Tag gelegt. Wir haben unsere Agrarpolitik reformiert, wir haben angeboten, Ausfuhrsubventionen, die für die Entwicklungsländer von Bedeutung sind, abzuschaffen, wir haben Kompromissbereitschaft bei den geografischen Angaben gezeigt usw. Aber Flexibilität ist keine Einbahnstraße und, wie man mit Blick auf die Forderungen der G-19 treffender sagen könnte, sie ist auch keine Autobahn mit Einbahnverkehr. Sie haben laut und deutlich gesagt, was sie wollen, nicht aber, was sie zu geben bereit sind. Jetzt brauchen wir von den G-19 ernst zu nehmende Angebote", warnte Fischler.
Reformen verdienen Anerkennung und keine Sanktionen
"Die EU hat schon einen langen Weg zurückgelegt. Bis vor kurzem waren handelsverzerrende Formen der Agrarstützung in der EU-Politik vorherrschend. Dies hat sich insbesondere infolge der Reform der Gemeinsamen Agrarpolitik (GAP) im Juni 2003 grundlegend geändert. Wenn agrarpolitische Reformen anerkannt und nicht bestraft werden sollen, muss sich das auch in der Entwicklungsagenda von Doha widerspiegeln. Denn wenn wir die Auswirkungen, die die verschiedenen Agrarpolitiken auf die Weltmärkte, die Preise und die Entwicklungsländer haben, so einfach ignorieren, dann stellt sich die Frage, warum sich überhaupt noch jemand die Mühe machen soll, etwas zu reformieren", so Fischler.
Inhalte sind wichtiger als Schlagworte
"Die EU musste sich in der Vergangenheit folgenden Vorwurf anhören: 'Während die Armen dieser Welt zumeist weniger als einen Dollar pro Tag zur Verfügung haben, wird für jede europäische Kuh mehr als das Doppelte dieses Betrags aufgewendet.' Dieser Vergleich ist nicht nur falsch; im Hinblick auf die Problematik, auf die er abzielt, ist er auch vollkommen irrelevant. Wenn man über die zwei Dollar pro Kuh polemisiert, sagt man damit nämlich noch nichts über die Auswirkungen der Agrarförderung der Industriestaaten auf den Handel und die Entwicklungsländer. Nicht jeder Dollar oder Euro, der in den Industriestaaten für Subventionen ausgegeben wird, hat dieselben Auswirkungen auf den Handel; und nicht jeder Dollar oder Euro, der bereitgestellt wird, um den Marktpreis zu stützen, und folglich mit Auswirkungen auf den Handel verbunden ist, kommt aus den Industriestaaten", sagte der Kommissar.
Die Reichen können nicht alles alleine machen
"Die Agrarpolitiken der reichen Länder sind nicht der einzige Grund dafür, dass die Entwicklungsländer von der Liberalisierung des Handels bisher weniger profitiert haben als gewünscht. Nach Angaben der Weltbank könnten 80% der Vorteile einer Liberalisierung im Agrarbereich durch den Abbau von Handelshemmnissen zwischen Entwicklungsländern erzielt werden. In Europa liegen die durchschnittlichen Agrarzölle bei nur 10%, in Brasilien bei 30% und in allen Entwicklungsländern bei 60%.
Deshalb müssen nicht nur die reichen Länder, sondern auch die Entwicklungsländer ihre Handelshemmnisse abbauen, und das in ihrem eigenen Interesse! Um die ärmsten der Entwicklungsländer müssen wir uns besonders kümmern. Nicht alle Entwicklungsländer haben denselben Entwicklungsstand. Burkina Faso ist gegenüber Brasilien nicht wettbewerbsfähig und Mali gegenüber Thailand auch nicht. Die in ihrer Entwicklung fortgeschritteneren Entwicklungsländer müssen mehr tun als die ärmsten dieser Länder," so Fischler.
Weitere Informationen über die WTO und die Landwirtschaft finden Sie unter:
http://europa.eu.int/comm/agriculture/external/wto/index_en.htm